Dolmetscher bei Mandelas Trauerfeier: Mit Engelszungen
In Gebärdensprache dolmetscht ein Mann bei Mandelas Trauerfeier. Verstanden wird er nicht. Unfreiwillig zeigt er Südafrikas Erbarmungslosigkeit auf.
Gebärdendolmetscher gehören zum internationalen Standard bei medialen Großereignissen. Auch bei der Trauerfeier für Nelson Mandela am Dienstag stand neben den Rednerinnen und Rednern ein diskreter Mann im dunkelblauen Anzug, der Zeichen machte. Aber offensichtlich wedelte er nur mit den Armen herum, denn die Gehörlosen Südafrikas beschwerten sich hinterher, sie hätten kein Wort verstanden.
Thamsanqa Jantjie, so stellte sich am Donnerstag heraus, war möglicherweise gar kein richtiger Gebärdendolmetscher. Die Firma, für die er arbeitete, existiere nicht; gegen ihn werde wegen nicht erbrachter Leistungen in Millionenhöhe ermittelt; er sei mit einer von Präsident Jacob Zumas Ehefrauen verwandt – alle möglichen Gerüchte machten die Runde.
Jantjie selbst ließ wissen, er sei sehr wohl Gebärdendolmetscher, leide aber an Schizophrenie. Ihm seien während der Trauerfeier Engel erschienen und er habe Stimmen gehört, so dass er sich weder habe konzentrieren noch das Podium verlassen können. Zugleich bestätigte der regierende ANC, er mache schon seit Jahren Gebrauch von seinen Diensten – ohne Grund zur Beschwerde.
Die südafrikanische Öffentlichkeit ist nun hin und her gerissen. Ist Jantjie ein bedauernswertes Opfer oder ein gerissener Betrüger? Und kann es sein, dass nicht genau überprüft wird, wer direkt neben Barack Obama steht?
Südafrika ist trotz aller Regenbogeneuphorie eine ziemlich erbarmungslose Gesellschaft, in der Schwächere und Kranke schnell unter die Räder kommen. Der Staat funktioniert schlechter, als er zugeben mag. In der Mandela-Trauerwoche, die zugleich etwas Euphorisches hat, hört das Land so etwas sehr ungern. Jantjie hat unfreiwillig den Schleier gelüftet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pro und Contra Letzte Generation
Ist die Letzte Generation gescheitert?
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!
Die Linke im Bundestagswahlkampf
Kleine Partei, großer Anspruch
Studie zum Tempolimit
Es könnte so einfach sein
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht macht BND für Irrtum verantwortlich