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Dokumentation„Ich, ein Antisemit?“

■ Ein Brief des Journalisten W. Rospek

Wenn die überregionalen Medien nicht wären, z. B. n-tv, das gestern den langjährigen stellvertretenden Chefredakteur der „Bremer Nachrichten“, Walfried Rospek, neben Prof. Wolfssohn in einer Antisemitismus-Debatte präsentierte – in seiner Heimatstadt wäre Rospek ohne ein Wort von der politischen Bühne entfernt worden. Im April 1993 feierte er sein 40jähriges Betriebsjubiläum - ein Leben für die „Bremer Nachrichten“. Am 9.3.94 wurde sein Name aus dem Impressum gestrichen. Rospeks Fehler: Er hatte das Ergebnis einer Emnid-Umfrage als Überschrift („Jude als Nachbar ungern gesehen“) genommen (vgl. taz 10.3.). Der Verleger ließ die Zeitung am Tag danach ohne Nennung des Namens drucken: „Der verantwortliche Redakteur ist von mir zur Rechenschaft gezogen worden.“ Ein Redaktionsstatut schützt ihn vor der „Rechenschaft“ seines Verlegers nicht, seine langjährigen KollegInnen schwiegen. Eine kontroverse Debatte ist in seiner eigenen Zeitung offenbar nicht denkbar.

Der degradierte „Walfried Rospek, Journalist“ reichte deshalb seine Kündigung ein und schrieb über „seine“ Überschrift einen langen Brief. Da der geschaßte Chefredakteur „keine Gelegenheit einer öffentlichen Darstellung hatte“, wie er selbst schreibt, verteilte er das Papier fotokopiert. Damit er doch eine Gelegenheit öffentlicher Darstellung hat, wollen wir hier wesentliche Passagen des Briefes dokumentieren. K.W.

Jeder fünfte. Eins, zwei, drei, vier - fünf! Muß man da nicht zusammenzucken, muß man sich da nicht geredazu schämen für seine Mitmenschen, denen man auf der Straße begegnet, neben denen man wohnt? Eins, zwei, drei, vier - und der nächste ist schon kein „Nächster“, sondern einer, von denen es vor 60 Jahren Millionen gab. ... Mag sein, daß andere in diesem Umfrageergebnis nur ein ,leichtes Anwachsen des Antisemitismus' sehen. Ich allerdings war tief betroffen. (...) Ein anderer wäre vielleicht davor zurückgeschreckt, hätte eine ,bequeme', neutrale, nichtssagende Überschrift gewählt... Aber für Rospek stand fest, daß die Schlagzeile genauso schockierend sein durfte wie das, was im Text stand: Jeder fünfte will keinen Juden als Nachbarn...

Und noch etwas rechtfertigte für mich diese Überschrift, diesen – wenn man das so verstehen will – ,gewollten Schock': Es war eine große jüdische Organisation in den USA, die die Umfrage in Auftrag gegeben hatte.

Rospek hatte in einem Kommentar zu der Meldung auch seine Zweifel am Sinn solcher Umfragen formuliert: Wie aussagekräftig sind solche Umfragen? Wie wurde gefragt? Etwa so: ,Würden Sie gern Afrikaner, Araber, Juden, Zigeuner oder Ostdeutsche als Nachbarn haben?' Wie auch immer die Frage gelautet haben man – das konnte nicht gut gehen. Das mußte gegen die 'anderen' ausgehen, denn der Mensch fühlt sich nun einmal am wohlsten unter Menschen, die ihm möglichst ähnlich sind... So sehr Umfragen auch Trands erkennbar werden lassen, denen unsere Gesellschaft möglichst früh entgegentreten muß – wörtlich zu nehmen sind sie zum Glück noch nicht. Aber dies läßt sich nicht in den fünf Wörtern einer Schlagzeile sagen. Ein bißchen lesen muß man schon...

Ich ein Antisemit? ... Jeder, der mich kennt, wird wissen, wie sehr mich solch ein Vorwurf trifft. (...)

Keine Frage, daß ich Verständnis habe für alle, die die umstrittene Schlagzeile für verfehlt halten. Und ich habe dieses Verständnis erst recht nach einem Anruf, ... der mich in diesen Tagen erreichte. Lassen sie sich nicht beirren, sagte der Mann, von dem ich nur zufällig wußte, wo er steht, Sie haben doch nur geschrieben, wie es wirklich ist. Er war einer von jenen. Einer von den jeweils „fünften“. Und da guckte ich doch wieder mit gemischten Gefühlen auf meine Schlagzeile...

Walfried Rospek

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