Dokumentation: „Vom Knastalltag ausgeschlossen“
■ Erklärung von Birgit Hogefeld zu ihren Haftbedingungen in Bielefeld
Über die Anwälte der am 27. Juni 1993 in Bad Kleinen festgenommenen Birgit Hogefeld erreichte uns folgende Erklärung, die hier gekürzt dokumentiert wird.
Nach meiner Verhaftung im Juni 93 war ich genau ein halbes Jahr in Totalisolation, d.h., ich war 24 Std. täglich allein – davon 23 Std. in einer knapp 8 qm großen Zelle und eine Std. im Hof. Mehr als zwei Monate dieser Zeit war ich überhaupt nicht draußen, denn mein Hofgang sollte in einem winzigen Käfig stattfinden [...]
Seit Ende Dezember habe ich zusammen mit den anderen Frauen der U-Haft-Abteilung täglich eine Stunde Hofgang – allerdings nur mit denen, die nicht arbeiten. Praktisch sind das meistens drei bis vier Frauen, die zusammen mit mir im Hof sind (Manchmal bin ich auch ganz allein draußen), theoretisch könnten meistens sieben bis acht Frauen zusammen mit mir raus, aber gerade auf U-Haft sind immer Frauen auf Entzug oder haben Prozeß oder gehen nicht raus, weil sie sowieso nur kurze Zeit im Knast sind).
Freundschaftliche Beziehungen zu anderen Frauen lassen sich für mich aus verschiedenen Gründen nur schwer herstellen, zum einen ist eine U-Haft-Abteilung immer eine Durchgangsabteilung (niemand ist hier so lange wie ich), viele Frauen sind bloß wenige Tage hier, und die meisten, die wissen, daß sie länger im Knast bleiben müssen, versuchen so schnell wie möglich Arbeit zu kriegen und gehen dann zu anderen Zeiten in den Hof als ich.
Die restlichen 23 Std. bin ich in der Zelle eingesperrt [...]
Ich bin außer dieser einen Stunde Hofgang von allem, was hier den Knastalltag der anderen Gefangenen ausmacht, ausgeschlossenen: „Umschluß“ in andere Zellen, alle Freizeit- und Sportveranstaltungen, Kirche, Büchereibenutzung, eben alles, außer dieser einen Stunde Hof mit den anderen Frauen, die vom BGH genehmigt wurde, um meine Haftsituation in der Öffentlichkeit als „normal“ hinzustellen.
In den restlichen 23 Std. wird meine Isolierung offensiv durchgesetzt, im Moment, wo ich das hier schreibe, haben die anderen Frauen „Aufschluß“, d.h., alle Zellentüren (bis auf meine) sind offen und alle können sich in allen Zellen und auf dem Flur und Küche „frei“ bewegen.
Aber es ist auch so, daß manche Frauen Angst haben, mit mir viel zu tun zu haben, hier hat sich natürlich rumgesprochen, daß eine Frau, mit der ich mich vor einigen Monaten angefreundet hatte, im Prozeß vom Richter gefragt wurde, ob „sie denke, ich wäre der richtige Umgang für sie“ und ob ihr bekannt wäre, daß „die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung strafbar ist“. Meine Besuche (2 x 1 Std. im Monat) finden immer noch in Trennscheibenzellen statt – außer denen mit meiner Familie – und selbst die Anwälte sehe ich nur hinter Panzerglas.
Bücher, Zeitungen und Musikkassetten bzw. CDs sind limitiert – politische Zeitschriften und Broschüren werden oft beschlagnahmt oder monatelang blockiert, Fotokopien bekomme ich überhaupt keine – d.h., ich bin von aktuellen politischen Auseinandersetzungen weitgehend abgeschnitten.
Kürzlich wollte mir jemand einen uralten Brief von meinem erschossenen Lebensgefährten Wolfgang Grams schicken [...] Wolfgang war 1978 nach der Erschießung von Willi Stoll sechs Monate im Knast, es ging um einen Brief, den er in dieser Zeit an eine Freundin geschrieben hatte. Dieser Brief, der 1978, ein Jahr nach dem „deutschen Herbst“, die BGH-Zensur passiert hatte, wurde jetzt von demselben Gericht angehalten, weil er „grobe Beleidigungen“ enthalte.
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