Dokumentation: Motive werden immer undurchschaubarer
■ Auszug aus einem vertraulichen Papier des Innenministeriums in Rom zur Lage der Immigranten
„Die besorgniserregende Zunahme heimlich einreisender Personen aus Ländern außerhalb der Europäischen Union wirft nicht nur die Frage ihrer juristischen und logistischen Behandlung auf. In den letzten Monaten kompliziert sich die Lage dadurch, daß die ankommenden Personen aus wesentlich unterschiedlicheren Schichten kommen als vorher. Außerdem werden die Motive dieser Leute immer undurchschaubarer (...).
Bis zu einem bestimmten Zeitpunkt, etwa Mitte 1997, ließen sich die ankommenden Immigranten normalerweise in drei Kategorien einteilen:
– Personen, die vor politischen Wirren wie Krieg, Bürgerkrieg, Stammesfehden oder Unterdrückung ihrer Volksgruppe flohen;
– Personen, die einem dauernden oder zeitweiligen lebensbedrohenden Elend zu entkommen suchten;
– Abenteurer, die auf der Suche nach leichtem Verdienst waren, darunter neben allerlei in ihrer Heimat steckbrieflich gesuchten Personen auch inernationale Menschenhändler, Zuhälter, Rauschgiftdealer.
Seit Ende vergangenen Jahres hat die Einreise in unser Land wesentlich diffusere Züge angenommen. Neben den genannten Kategorien gibt es nun immer mehr Menschen, die sich als eine Art Vorhut bei der Suche nach neuen Lebensräumen verstehen, da ihnen die eigenen Länder als nicht mehr reformierbar gelten; darunter befinden sich auch durchaus Menschen, die zu Hause einen nicht unbeträchtlichen Wohlstand haben, diesen aber so gefährdet sehen, daß sie in Europa neu anfangen wollen.
Weiterhin nimmt die Zahl derer zu, die von ihren Regierungen ermutigt werden, nicht nur in die Europäische Union einzuwandern, sondern dort auch Unruhe zu stiften. Die Motive dafür sind nicht immer erkennbar. Neben dem Druck auf unsere Regierung, den Ländern größere Geldsummen zukommen zu lassen, scheint nicht ausgeschlossen, daß einige Staaten sich auch ein weniger stabiles Europa wünschen. In mindestens acht Fällen ist es gelungen, regelrecht ausgebildete Provokateure zu identifizieren, die bereits anderweitig in diesem Sinne aufgefallen waren.
Leider nimmt offenbar auch die Zahl von Infiltrationen anderer Geheimdienste zu, mitunter in der Absicht einer Diskreditierung Italiens gegenüber anderen Staaten der Europäischen Union oder anderer Anrainerstaaten des Mittelmeeres. Unter diesen Geheimdiensten befinden sich auch solche, die offiziell freundschaftliche Beziehungen mit Italien pflegen. (...)“
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