Dokumentation: „Schluss mit den Schließungs- und Kürzungsszenarien!“
■ Der Senat will unter anderem im Kulturbereich drastisch sparen. Jetzt macht der Kulturrat die Gegenrechnung auf und prangert die Bremer Sanierungspolitik an: Statt auf die ansässige Kultur setzt die Landesregierung nur auf Unterhaltung und Events
Im Kulturetat fehlen im nächsten Jahr mindestens sieben Millionen Mark. Wenn Senat und Kulturbehörde dieses Geld tatsächlich einsparen, wird die Lebensqualität in Bremen nach Auffassung des Kulturrats drastisch verschlechtert und werden die kreativen Aktivposten der Stadt stranguliert. In einer bei einer Mitgliederversammlung abgestimmten Erklärung fordert der Kulturrat, dem VertreterInnen nahezu aller Bremer Kultureinrichtungen an-gehören, eine Aussetzung dieser Kürzungspläne. Wir dokumentieren diese Erklärung in leicht gekürzter Form.
Die Kulturfinanzen 1999 befinden sich alles in allem auf einem Niveau, das mehr schlecht als recht die derzeitigen Leistungen der Kultur absichert. Nunmehr hat der Senat beschlossen, dass für das kommende Haushaltsjahr mindestens sieben Millionen Mark gekürzt werden sollen. Diese Zahl berücksichtigt jedoch nicht die von der Stadt zusätzlich zu erbringenden Geldleistungen, die auf rechtliche Beschlüsse der letzten Legislaturperiode zurückzuführen sind. Zu befürchten sind Kürzungen vor dem Hintergrund bereits absehbarer zusätzlicher Lasten von weit über zehn Millionen Mark.
Seit Jahren sind die Bremer Kultureinrichtungen von regelmäßigen Kürzungen betroffen: Nicht nur das Bremer Theater, das in den vergangenen fünf Jahren eigene Einsparungen in Höhe von 13,7 Millionen Mark erbracht hat, ist nun von Kürzungen bedroht, sondern auch der gesamte soziokulturelle Bereich, der in den letzten Jahren bereits bis zu 30 Prozent einzusparen hatte. Mehr noch: Sechs Einrichtungen mussten geschlossen werden.
Knapp fünf Monate nach der Bürgerschaftswahl müssen die Bremer Kultureinrichtungen feststellen, dass von den blumigen Versprechen (Stichwort: Neuorganisation und Verbesserung der Kulturförderung und -verwaltung, Planungssicherheit für die Kulturinstitutionen, Erhalt der kulturellen Vielfalt Bremens etc.) nichts übrig geblieben ist.
Von der hoch gepriesenen effektiven Dreigliederung ist bisher nur die GmbH „kultur.management.bremen“ (KMB) gegründet worden – ausgestattet mit neuen Räumlichkeiten und sechs zusätzlich geschaffenen Stellen. Das Kulturbüro hat bisher nicht erkennbar seine Arbeit aufgenommen. Es ist sogar fraglich, ob es überhaupt jemals in dieser Form ins Leben gerufen werden soll. Die KMB wurde zwar gegründet, aber es ist nicht geklärt, wie die konkreten Aufgaben dieser ehrenwerten Gesellschaft aussehen sollen. Die alte Kulturverwaltung wurde quasi außer Kraft gesetzt, ohne dass neue Strukturen eingerichtet wurden. Statt Planungssicherheit im Rahmen eines verlässlichen Kontraktwesens schlummern die erarbeiteten Entwürfe (für diese Kontrakte; Anm. d. Red.) in den Schreibtischschubladen und harren der Bearbeitung durch die KMB. Die behördlichen MitarbeiterInnen sind zurzeit mit dras-tischen Schließungsszenarien beschäftigt.
Diese Schließungs- und Kürzungsszenarien zeichnen sich dadurch aus, dass sie nur für bestimmte Bereiche gelten. Das Musical („Jekyll & Hyde“) erhält seitens der Wirtschaftsbehörde bei einer Auslastung von 80 Prozent (jährlich) 1,4 Millionen Mark, bei einer 60-prozentigen Auslastung 1,8 Millionen Mark Ausfallbürgschaft. Weitere relevante Beträge werden unter dem Dach der Hanseatischen Veranstaltungsgesellschaft (HVG) für in deren Augen spektakuläre Einzelveranstaltungen und Prestigeprojekte verteilt. Der Bremer Senat misst mit zweierlei Maß zum Schaden der in Bremen verankerten und ansässigen Kultur. Pikanterweise kommt hinzu, dass die Kosten für den völlig fehlgeschlagenen „Reformversuch“ auch noch dem Kulturhaushalt zusätzlich aufgebürdet werden. Gleichzeitig gibt der Senat für acht Millionen Mark ein weiteres Gutachten in Auftrag, das die Umsetzung der Reformvorschläge (in allen Verwaltungsbereichen; Anm. d. Red.) überprüfen soll.
Die im Koalitionsvertrag zugesagte Diskussion über kulturpolitische Ziele und inhaltliche Entwicklungsperspektiven findet nicht statt. Stattdessen lässt der Kultursenator kurz- und mittel-fristige Schließungsszenarien entwickeln, genannt: Kulturentwicklungsplan. Dabei ist offensichtlich ein einziger Punkt von entscheidender Bedeutung: Wie hoch ist die rechtliche Verbindlichkeit seitens der Stadt gegenüber den jeweiligen Kultureinrichtungen. Einrichtungen wie zum Beispiel das Theater am Goetheplatz oder das Übersee-Museum haben historisch gewachsene, rechtlich bindende Verträge. Neuere Einrichtungen wie die Bremer Shakespeare Company, die Gesellschaft für aktuelle Kunst (GAK), das Haus am Deich oder das Lagerhaus Schildstraße und die vielen freien Projekte haben keinen Rechtsanspruch auf kontinuierliche Förderung.
Die gegenwärtige Politik des Bremer Senats lässt sich auf folgenden Punkt bringen: Das Geld ist nur knapp für die in Bremen ansässigen Kultureinrichtungen, KünstlerInnen und Initiativen, während unterhaltungsorientierte Aktivitäten und Events großzügig bedacht werden. Diese Sorte Sanierungspolitik schadet der ortsansässigen Kultur, die den kulturellen Reichtum Bremens ausmacht. Aber gerade damit identifizieren sich nicht zuletzt die hier lebenden Steuerzahler, und das kulturelle Leben macht einen wichtigen Teil der Lebensqualität unserer Stadt aus, die der Senat mit seiner Sanierungspolitik vorgibt retten zu wollen. Aber wie will man Menschen dafür gewinnen, in Bremen zu leben und Steuern zu zahlen, wie will man auch für die Wirtschaft attraktiv sein, wenn alles unternommen wird, die Lebensqualität zu verschlechtern und die kreativen Aktivposten der Stadt finanziell zu strangulieren?
Wir fragen: Welchen Zweck verfolgt eigentlich die Vorge-hensweise des Kultursenators? Sparen als Selbstzweck? Sparen mit welchem Ziel?
Die Bremer Kultureinrichtungen fordern den Senat und insbesondere den Kultursenator dazu auf, die Kürzungspläne für den Kulturbereich sofort auszusetzen und den Status quo abzusichern. Wir erwarten, dass – wie in den anderen Politikbereichen auch – für den Kulturbereich eine Debatte über inhaltliche Ziele und Strukturen stattfindet, die nicht durch zwischenzeitliche Kürzungs- und Schließungsmaßnahmen ad absurdum geführt wird. Wir erwarten, dass die durch die McKinsey-Umstrukturierung entstandenen und noch entstehenden Kosten nicht dem Kulturetat aufgebürdet werden.
Schluss mit den Kürzungsszenarien! Wir fordern den Kultursenator zum Gespräch auf!
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