Dokumentation über Atommüll: Und ständig wächst der Abfallberg

Der Journalist Éric Guéret spürte den strahlenden Rückständen der Atomkraft nach und fand eine Geschichte von Lügen, Täuschungen und Verharmlosungen (Arte, Dienstag, 21 Uhr).

Mehrfach gelangten aus der Atomanlage Majak im Ural riesige Mengen radioaktiver Abwässer in die Tetscha. Bild: arte

Der Film beginnt mit beklemmenden Bildern. Auf hoher See werfen Männer in gelbem Ölzeug Fässer über Bord. Die nächste Einstellung zeigt verrostete Tonnen irgendwo auf dem Meeresboden. Das Metall ist aufgeplatzt, der Inhalt fortgespült. 50 Jahre lang haben Staaten wie Großbritannien, die USA, Russland, Frankreich oder Japan ganz legal insgesamt 100.000 Tonnen nukleare Abfälle in den Ozeanen verklappt, bis ein internationales Abkommen diese Praxis 1993 verbot.

Offiziell halten sich alle Länder an den Vertrag. Den Atommüll haben sie weiter am Hals. Und es wird immer mehr. Ständig wachsen die Abfallberge. Zu Wasser und zu Land, in Frankreich, Russland und den USA haben der Journalist Éric Guéret und sein Team den strahlenden Hinterlassenschaften von militärischer und "ziviler" Atomkraftnutzung nachgespürt.

Sie führten Interviews mit Zeitzeugen und Experten, begleiteten kritische Wissenschaftler bei ihren Recherchen und Messungen, durchforsteten Archive und stießen bei Offiziellen immer wieder auf Ausreden und auf Mauern des Schweigens. Die Filmemacher erfuhren: Die Geschichte der Produktion von Atommüll ist auch eine Geschichte von Lügen, Täuschungen, Verharmlosungen.

Hanford, USA, ist die erste Station von Guérets Reise. Am Columbia River baute die US-Army 1942 auf einem abgelegenen Stück Wüste Anlagen zur Erprobung und Produktion von Atombomben. Die für das streng geheime "Manhatten Project" aus dem ganzen Land zusammengezogenen Wissenschaftler experimentierten in neun Reaktoren und fünf Plutoniumfabriken, bis sie genug Spaltstoff für die schreckliche Waffe zusammenhatten.

Die meist flüssigen Abfälle leitete man in den Fluss oder in große Tanks, die dann im Boden vergraben wurden. Viele Behälter platzten, die Brühe sickerte ins Erdreich, gelangte ins Trinkwasser und in die Nahrungskette. Umweltschützer und Journalisten, die das Gelände bis heute nicht betreten dürfen und sich dem Hanford-Komplex nur auf dem Fluss nähern können, messen immer noch stark erhöhte Radioaktivitätswerte. Bei einer Probe im Jahr 2002 waren 13 von 15 im Columbia gefangenen Fischen kontaminiert.

In Russland filmte Guéret in der Region um die Stadt Tscheljabinsk im Südural. In der geheimen Atomanlage Majak explodierte 1957 ein Tank mit flüssigem Atommüll - es war der größte Unfall vor Tschernobyl. 200 sofortige Todesopfer sind bestätigt, insgesamt sollen zehntausende an der Strahlung gestorben sein. Etliche umliegende Dörfer wurden evakuiert, in anderen ließ man die Menschen weiter auf der kontaminierten Erde wohnen. "Die halten uns hier wie Versuchskaninchen", sagt ein Mann in die Kamera.

Der nahe Karatschai-See diente zur Verklappung des Atommülls aus Majak. Über die Flüsse Tetscha und Ob kann die strahlende Fracht bis ins Eismeer gelangen. Bislang haben die russischen Techniker kein Mittel gefunden, um die Strahlung im und unter dem heute noch 13 Hektar großen See zu binden.

Die Luft und das Meer bei der französischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague sind verstrahlt. Die Fabrik, in der auch deutsche AKW-Betreiber ihre abgebrannten Brennstäbe behandeln ließen, spült durch ein viereinhalb Kilometer langes Rohr jeden Tag 400 Kubikmeter radioaktives Abwasser in den Ärmelkanal. Ganz legal. Denn der Vertrag von 1993 verbietet nur, dass Fässer mit Atommüll im Meer versenkt werden. Die direkte Einleitung von strahlenden Abfällen verbietet er nicht.

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