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Dokumentation (siehe nebenstehenden Artikel)Humankapital ist in

■ Studi-Vertreter begrüßt Erstsemester

Lars-Christian Wichert wollte nicht in die Jubilierstimmung der anderen Festredner einstimmen. Die Hochschulpolitik im Lande Bremen liegt im Argen, findet der 27jährige Präsident des Studierendenrates der Uni Bremen. Der Juso Wichert, der für „Asta für Alle“ dreieinhalb Jahre im AStA der Uni war, spricht sich gegen eine Privatuni in Grohn aus und ist skeptisch, ob ein neues Bremisches Hochschulgesetz den Studis Vorteile bringt. Wir dokumentieren Wicherts Ansprache an die neue Studi-Generation.

Ihr merkt, es geht nun etwas förmlicher und festlicher zu als in der Uni. Es ist das erste Mal, daß eine hoch-feierliche Begrüßung der neuen Studierenden in Bremen in einem so edlen Ambiente stattfindet. Ihr habt viel gehört von dem „neuen Lebensabschnitt“ der für Euch jetzt anfangen soll. Ihr kommt vielleicht aus einer anderen Stadt, vieles ist fremd. Doch wenn man genauer hinguckt, ist vieles, was Euch erwartet, altbekannt (...)

Neu ist auch diese Form der Veranstaltung nicht. Es gab sie vor 40 Jahren, vor 30 Jahren, bis sie vor 20 Jahren abgeschafft wurde. Sie wurde abgeschafft, und das ist gut so. Sie wurde abgeschafft, weil sich Universitäten nicht in feierlichen Ritualen erschöpfen sollte. Es sollte um eine neue Rolle der Bildungseinrichtungen gehen. Die Themen waren „Chancengleichheit; Demokratisierung der Forschung und Lehre; Forschung aus und für die Gesellschaft; Drittelparität“. Aber das sind Visionen von gestern, oder neudeutsch gesprochen: Das ist total out. In ist heute die Verwertbarkeit des Wissens (...) In ist „Humankapital“, und damit seid Ihr gemeint. Zumindest, wenn Ihr schnell und ohne anzuecken studiert. In seid Ihr auch, wenn Ihr nicht eine dieser brotlosen Geisteswissenschaften studiert (...)

Und wenn dieser Tage das Bremische Hochschulgesetz (BreHG) reformiert werden soll, (...) dann können wir nur befürchten, daß die Bedingungen für uns als Studierende eher schlechter als besser werden. Wird im neuen BreHG der Großen Koalition etwa drinstehen, daß von uns Studierenden keine Studiengebühren erhoben werden? Wohl eher nicht. Schade für die, die dann aus Geldmangel out sind. Wird im neuen BreHG drinstehen, daß wir Studierenden mehr Freiheiten für das, was wir tun wollen im Studium, bekommen werden? Wohl eher nicht. (...) Wird die Große Koalition etwa beschließen, daß wir Studierende mehr demokratische Rechte bekommen, und mitbestimmen können, was in der Forschung passieren soll? Wohl eher nicht. Statt Demokratisierung sollen in den einzelnen Fachbereichen allesbestimmende Dekane installiert werden, und wir Studierende werden dann out sein.

Statt echter Evaluation, also der qualitativen Bewertung von Forschung und Lehre, sollen Effizienz-, also Verwertbarkeitskriterien, entscheiden, wohin die Gelder fließen. Das kann nicht im Interesse von uns Studierenden liegen. Geld ist in Bremen ein knappes Gut. Deswegen kann es ebensowenig in unserem Interesse liegen, eine staatlich finanzierte Privat-Uni vor die Nase gesetzt zu bekommen, wie das 20 Kilometer von hier entfernt in Bremen-Grohn mit der Rice University geplant ist. Wenn im armen Bremen 300 Millionen Mark übrig sind für Hochschulen, dann soll das allen zugute kommen. Elite-Bildung für wenige schadet uns allen. Was die Rice-University den Staat jedes Jahr kosten soll, darüber können wir nur spekulieren. Aber jede Mark, die in Rice gesteckt wird, wird an der Uni dringend gebraucht!

In ist auch Internationalisierung. Und weil international nur wenige einen hohen wissenschaftlichen Abschluß erreichen, soll auch bei uns die Mehrheit mit einem Schnellstudium, dem sogenannten Bachelor, aus der Wissenschaft ausgeschlossen werden.

Aber sollten wir Studierenden uns denn derart ins Abseits stellen lassen? Ich meine – nein. Wir sollten in der Hochschule das lernen, forschen und ausprobieren können, was wir für in halten. Und wir sollten outen, was sich in der Hochschule an Überkommenem angesammelt hat. (...)

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