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Dokumentarfilm „A Letter to David“Ist Hoffnung eine Pflicht?

„A Letter to David“ von Tom Shoval widmet sich dem von der Hamas entführten Schauspieler David Cunio. Der Film vereint ihn fiktiv mit seinem Bruder.

Nur mit filmischen Mitteln vereinte Brüder: Eitan Cunio und David Cunio in „A Letter to David“ Foto: Mindjazz Pictures

Sowohl die Hoffnung als auch die Hoffnungslosigkeit sind Gefühlszustände, gegen die man sich nur schwer wappnen kann. Die Gefahr allzu großer Hoffnung besteht immer darin, schwer enttäuscht zu werden, die der Hoffnungslosigkeit, den Defätismus handlungsleitend werden zu lassen und negative Ergebnisse überhaupt erst zu produzieren.

Tom Shovals Dokumentarfilm „A Letter to David“, der die Entführung des israelischen Schauspielers David Cunio durch die Hamas am 7. Oktober 2023 zum Gegenstand hat, setzt eine filmische Geste zentral, die so mancher ernüchterte Beobachter des Nahostkonfliktes hoffnungslos naiv finden mag, andere werden sie als notwendiges Zeichen lesen, niemals aufgeben zu dürfen: Es ist die – fiktive – Umarmung zweier Brüder, die sich zwei Jahre nach dem 7. Oktober und nach der Entführung des einen wiedersehen und sich endlich wieder in den Armen halten dürfen.

Die Zwillingsbrüder David und Eitan Cunio wurden voneinander getrennt, als die Hamas ihren Heimat-Kibbuz Nir Oz überfiel, eine der israelischen Gemeinden im Süden des Landes, die am schwersten von dem Überfall der Terrororganisation betroffen war. Zuschauer erleben Eitan Cunio in den Trümmern seines ehemaligen Zuhauses.

Ihm und seiner Familie war es wie durch ein Wunder gelungen, den entschlossenen islamistischen Killern zu entgehen. Diese hatten im Haus systematisch Feuer entfacht, um Eitan, seine Frau und die beiden Töchter zu ermorden. Die Familie überlebte den benzingetriebenen Brand im verstärkten Schutzraum des Hauses, der gleichzeitig – wie so oft in den Gemeinden des Südens – als Kinderzimmer dient.

Der Film

„A Letter to David“. Regie: Tom Shoval. Israel/USA 2025, 74 Min.

„A Letter to David“ verzichtet darauf, die Grauensbilder vom 7. Oktober, die ja stets auch Täterbilder sind, direkt zu zeigen und zu reproduzieren. Zuschauer erleben den Tag vielmehr vermittelt durch die Zeugnisse Eitans und der Eltern der Zwillinge. Die Worte des Familienvaters, der, wie er berichtet, eingehüllt in dichten Rauch von seinen Töchtern Abschied nimmt, hallen lange nach. Ebenso Bilder der Eltern, die auf dem Balkon ihrer neuen Wohnung – einem Betonbau im Kontrast zum idyllischen grünen Kibbuz –, stehen und rauchen. Die beiden Rentner haben sich nach der Entführung ihrer Söhne das Laster erneut angewöhnt.

Ein letztes Lebenszeichen im Februar

Neben David wurde auch der jüngste Sohn der Familie, Ariel Cunio, von der Hamas entführt. Von David erhielt die Familie zuletzt im Februar 2025 ein Lebenszeichen, als eine freigelassene Geisel entsprechende Informationen teilte. Durch die aktuellen Geschehnisse im Rahmen des Trump-Friedensplans scheint eine Freilassung der schätzungsweise noch 20 lebenden Geiseln greifbarer als zu irgendeinem Zeitpunkt des seit dem 7. Oktober 2023 andauernden Gazakrieges zwischen Israel und der Hamas, der entsetzliche Opferzahlen auf palästinensischer Seite brachte. Ob David und Ariel Cunio am Leben sind, ist ungewiss.

Regisseur Tom Shoval inszeniert „A Letter to David“ als „cinematic letter“, einen filmischen Brief an den fehlenden David Cunio, der an der Seite von Eitan Hauptdarsteller seines 2013 bei der Berlinale uraufgeführten Spielfilms „Youth“ war. Dieser Vorgängerfilm handelt von zwei Brüdern aus einer finanziell angeschlagenen Familie, die ein Mädchen entführen, um Lösegeld zu erpressen. Dabei geraten die Brüder in eine Spirale aus Druck, Angst und moralischen Konflikten. Durch die Entführungsthematik steht der Film in einem unheimlichen Näheverhältnis zu den Ereignissen, welche die Darsteller in der Wirklichkeit heimsuchten.

In die äußerst gelungene aktuelle Doku mischen sich Aufnahmen des Spielfilms, eine Arbeit, die sich durch die Wirklichkeit verändert hat. „Der Film wurde von der Realität entführt“, hält Regisseur Shoval fest. Für „A Letter to David“ kreiert er eine Form, die über klassische dokumentarische Chronologie hinausweist und in essayistischer Struktur Reflexion, Brüche, Assoziationen zulässt. Shoval kontrastiert Archivmaterial – Hinter-den-Kulissen-Aufnahmen, Casting-Szenen aus „Youth“, Making-of- und Privataufnahmen der Brüder, die ihre Liebe zum Kino verbindet – mit aktuellen Bildern, was eine eindringliche Resonanz erzeugt.

Archivaufnahmen von gespenstischer Qualität

Vermeintlich unbeschwerte Bilder kontrastieren mit Eindrücken der Zerstörung, physisch im Kibbuz sowie in den Seelen der Angehörigen. Manche der Archivaufnahmen haben eine beinahe gespenstische Qualität. Sie zeigen im Kibbuz Nir Oz – ein Ort, der die Utopie bereits im Namen trägt, blühende Gärten.

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Trailer „A Letter to David“

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Und doch war die Gemeinde auch in dieser Zeit bereits ein Ort „am Rande eines Vulkans“. Dieser wird in einigen Szenen im Hintergrund metaphorisch deutlich – in Form der Häuser-Silhouette des Gazastreifens. „Du bist zwei Kilometer und doch Lichtjahre entfernt von hier“, sagt Eitan an den abwesenden Bruder gerichtet.

Wie auch immer sich die Ereignisse der aktuell im Kontext der durch die US-Regierung dirigierten Friedensverhandlungen entwickeln mögen, „A Letter to David“ ist bereits jetzt ein zeithistorisch bedeutendes filmisches Dokument, das die Frage aufwirft, ob unter gewissen Umständen nicht gar eine Pflicht zur Hoffnung besteht. Ob von der Wirklichkeit eingelöst oder nicht, das Bild der sich bei ihrem Wiedersehen umarmenden Brüder wird symbolisch fortbestehen.

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