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DokuDer Punkrock-Warlord

Kommentar von Andreas Busche

Joe Strummer erfand den Punkrebell und verkaufte einen Song an die Jeans-Werbung. Julien Temple zeigt in "The Future Is Unwritten" die Karriere des Clash-Sängers.

London Calling? Clash-Frontmann Strummer. Bild: Neue Visionen

E inige Jahre bevor die Stooges mit "Search and Destroy" den Soundtrack zum Nike-Lebensgefühl lieferten, hatten The Clash mit ihrem Pubrock-Gassenhauer "Should I stay or should I go" bereits die domestizierte Rebellenpose in die cleane Werbewelt eingeführt. Ihr 82er-Album "Combat Rock", auf dem der Song erstmals erschienen war, galt unter Fans seinerzeit als kommerzieller Sell-out der Band (der Flirt mit als kommerziell verschrienen schwarzen Musikstilen wie Rhythm n Blues, Funk und Disco stieß in den traurigen Überresten der traditionell weißen, britischen Punk-Szene auf wenig Verständnis). Da war es nur konsequent, dass Clash-Frontmann Joe Strummer, das soziale Gewissen der ersten Punk-Welle, zehn Jahre später das Undenkbare tat und seine Musik an einen Jeans-Hersteller verkaufte. "Should I stay or should I go" bescherte The Clash, sechs Jahre nach Auflösung der Band, ihren einzigen Nummer-1-Hit. Kurz darauf begann MTV, Nirvanas "Smells Like Teen Spirit" rauf und runter zu nudeln, und machte 1991 damit zu "the year punk broke".

Die Genealogie von Punk ist dezentral und kompliziert, doch wo man auch nach seinen Ursprüngen sucht, der 2002 verstorbene Joe Strummer war eine der großen Identifikations- und Integrationsfiguren. The Clash haben Ende der Siebziger Punk einer Menge Menschen zugänglich gemacht. Den Dreads und Rudeboys, als sie Junior Murvins "Police and Thieves" coverten. Den Rockern und Billieboys mit ihrem Outlaw-Image und der Selbststilisierung des Diplomatensohns Strummer als klassenkämpferischer James-Dean-Verschnitt. Und später selbst dem Mainstreampublikum, das sich vom rechtschaffenen Furor von Songs wie "I Fought the Law" noch vor den Kopf gestoßen gefühlt hatte. Es gibt Punkte in der Biografie des widersprüchlichen Joe Strummer, die sich nicht ziemen für einen echten Punk (schlechte Filme wie "Straight to Hell" zum Beispiel oder ausverkaufte Stadien): das hat oft zu Verwirrungen geführt. Was aber nie in Zweifel stand, waren seine musikalische Integrität und seine personal politics. Sie dienen als Ausgangspunkt für Julien Temples emphatische Hommage "The Future Is Unwritten", die diese Woche anläuft.

Ganz Geist des Punk Bild: Neue Visionen

Temple ist der bekannteste Chronist der englischen Punk-Explosion der Siebzigern; seine Sex-Pistols-Dokus "The Great Rock n Roll Swindle" und "The Filth and the Fury" haben das Terrain sondiert und so manchen Gründermythos zerstört. Vor allem aber war er Augenzeuge der ersten Gehversuche von Punk; er hing damals mit Johnny Rotten und Strummer rum und filmte deren ersten Auftritte. Seine Aufnahmen von frühen Clash-Proberaumsessions und nie zuvor gesehenes Live-Material von Strummers Band 101ers gehören zu den Highlights von "The Future Is Unwritten". Doch auch sie sind nur Mosaiksteinchen in der Gesamterscheinung von Strummers schillernder Persona, dem selbsterklärten "Punkrock Warlord", der seine Band, wie er im Film einmal bemerkt, mit stalinistischer Härte leitete.

Temple liefert ein ungleich sympathischeres Bild, ohne charakterliche Defizite Strummers unter den Teppich zu kehren. Um ein großes, symbolisches Lagerfeuer versammelt Temple ehemalige Klassenkameraden und Jugendfreunde, Wegbegleiter wie Paloma McLardy von den Slits oder Reggae/Punk-Ikone Don Letts und merkwürdig deplatziert wirkende Promis wie Johnny Depp (noch im "Pirates of the Carribean"-Make-up), John Cusack und Martin Scorsese (im Anzug), und lässt sie alle über Joe plaudern, nicht selten mit feuchten Augen und verklärtem Blick. Der Joe, das war schon eine Marke, wie er auf seine alten Tage noch zum Hippie konvertierte und damals auf dem Glastonbury Festival seine Punkbegegnungsstätte Strummerville initiierte, wo man bei offenem Feuer einfach so abhängen und total ungezwungen miteinander kommunizieren konnte.

Das Lagerfeuer ist ein strukturierendes Motiv in "The Future Is Unwritten", ein schöner Einfall - genauso wie Temples Idee, Strummer seine Geschichte selbst erzählen zu lassen. In den letzten Jahren vor seinem Tod moderierte er für die BBC die Radiosendung "London Calling", in der er die Hörer durch seine musikalische Welt begleitete, von Elvis über Miriam Makeba bis Bukka White und obskurem Calypso. Temple benutzt Ausschnitte aus diesen Sendungen als Wegweiser für Strummers expandierenden free spirit, der sich mit seiner letzten Band The Mescaleros auch live Bahn brach.

Im Film sagt Bono den gewichtigen Satz, dass The Clash mit ihrer Musik eine Art Landkarte entworfen hätten, an der nachfolgende Bands ihr politisches Bewusstsein geschärft haben. Wohin das führen kann, sieht man heute an U2. Aber das darf man Strummer nicht vorwerfen. Eigentlich wollte Joe nur Musik machen, Comics zeichnen und seinen Kindern am Lagerfeuer erzählen, wie das 1977 so war, als es reichte, sich eine speckige Lederjacke überzuschmeißen, um gegen das Establishment zu rebellieren.

"Joe Strummer - The Future Is Unwritten". Regie: Julien Temple, mit Johnny Depp u. v. a. 123 Min., IRL/GB 2007

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