Doku über das „Kongo-Tribunal“: Die Macht des Rechts
Milo Raus Projekt mag selbstherrlich wirken. Aber seine Darstellung, wie Wohlstand in Europa auf der Ausbeutung Afrikas aufbaut, wühlt auf.
Selbstverständlich kann man Milo Rau Größenwahn vorwerfen. Gerade hat er in der Berliner Schaubühne nichts weniger als ein Weltparlament abgehalten, eine fiktive Gerechtigkeitsinstanz, um dem globalisierten Elend der Welt Gehör zu verschaffen. Nun kommt sein Film „Kongo-Tribunal“ in die Kinos. Ein weißer Mann, der in das laut Amnesty International gefährlichste Land der Welt fährt, um vor Ort einen Gerichtshof zu inszenieren, den es da nicht gibt?
Schon die Rahmenbedingungen haben einen Geschmack von postkolonialer Selbstherrlichkeit, und man kann vielleicht schon fragen, ob Milo Raus Selbstermächtigung nachhaltig und sorgfältig genug ist, was die Opfer des Kongo-Kriegs betrifft. Immerhin ist einer der Protagonisten, der Student und Aktivist Amini Kabaka, der im Film den kongolesischen Staat direkt verantwortlich macht, seit den Dreharbeiten verschollen. Und doch haben Milo Rau und seine Cutterin Katja Dringenberger im „Kongo-Tribunal“ einen Dokumentarfilm geschaffen, der bahnbrechend ist: Kaum jemals zuvor wurde der Zusammenhang von Konflikten, Rohstoffausbeutung und europäischem Wohlstand so schockierend präzise sichtbar gemacht. Die Demokratische Republik Kongo, eines der Länder mit den reichsten Rohstoffvorkommen der Welt, versinkt, wie man weiß, seit Jahrzehnten in einem opferreichen und brutalen Krieg. Die Toten gehen in die Millionen, Täter werden kaum je verurteilt.
Man riecht es schon, sagt Amini Kabaka zu Milo Rau zu Beginn des Films, als sie die staubige Straße entlang gehen im Dorf Mutarule, Provinz Süd-Kivu, wo Milizen zum dritten Mal in wenigen Jahren ein Massaker verübten. Und dann sieht man sie dort liegen, teils in der prallen Sonne, die mit bunten Tüchern bedeckten Leichen. „Hier sind die Kinder“, sagt Kabaka und deckt den Kopf eines toten Babys auf. So sieht man Milo Rau gleich am Anfang des Films „Kongo-Tribunal“ sichtlich verstört an Orten, an denen es richtig schlimm wird.
Der Minister blickt nervös umher
Es war ein Zufall, dass das Filmteam vom Massaker erfuhr und als Erstes vor Ort war – obwohl nur neun Kilometer entfernt ein UNO-Stützpunkt liegt. Der Innenminister Jean-Julien Miruho ließ sich auch Tage danach nicht blicken, später erklärt er nervös umherblickend in die Kameras, dass ein Scheinwerfer seines Autos defekt war.
Und dann zoomt die Kamera, von pathetischer Musik begleitet, in die Höhe, fliegt über die eigentlich so fruchtbaren, grünen Hügel der Demokratischen Republik Kongo – um schließlich im selbsternannten Gerichtssaal von Bukavu zu landen. Eine alte Jesuitenschule wurde umfunktioniert. Für sein symbolisches Gericht hat Milo Rau Akteure der komplexen globalen Versagensstruktur, die der Kongo ist, an einen Tisch gebracht: echte Anwälte und Zeugen, Schürfer und Rebellen, Regierungs- und Oppositionsvertreter, Konzernsprecher, Zeugen und Experten. Allein schon, dass so unterschiedliche Perspektiven in Bukavu erstmals gemeinsam im Saal sitzen, ist eine Sensation.
Nur dem UN-Vertreter Jean Ziegler, Berater im Menschenrechtsrat, wurde die Anreise von seiner Dienststelle nicht erlaubt. Zufall? Wohl eher nicht. Stellvertretend hat Rau drei exemplarische Fälle zur Verhandlung ausgewählt, die das, was im ganzen Land passiert, kondensieren: die gewaltsame Vertreibung der Landbevölkerung von zwei Rohstoffminen sowie das Massaker in Mutarule, das er im Film als Erster bezeugte.
Regie: Milo Rau. Deutschland/Schweiz 2017, 100 Min.
Vorsitzender des Gerichts ist der Belgier Jean-Louis Gilissen, Mitbegründer des Internationalen Strafgerichtshofs von Den Haag. Er hat zu Beginn, weinend, einen der starken Momente im Film: „Man heiratet, man bekommt Kinder, alles ist in Ordnung. Und man weiß, es reicht nicht. Für wen halten wir uns, zu akzeptieren, was in der Welt passiert?“ Auch für Milo Rau ist Mitleid nur akzeptabel, wenn es zu politischer Aktion führt.
Politisch aktiv sind in diesem Film aber vor allem die Kongolesen selbst, deren Stimme einen großen Raum erhält – auch wenn immer wieder erhellende Kommentare des Berliner Kongo-Tribunals weißer Experten dazugeschnitten werden. Etwa Sylvestre Bisimwa, der Untersuchungsleiter, der in seiner Anfangsrede die Problematik des Kongo auf den Punkt bringt. Er fragt die Zeugen: Sind der kongolesische Staat und die Armee direkt verantwortlich, weil sie Rechtlosigkeit gewähren lassen? Inwiefern profitieren Unternehmen von Konflikten, um günstig an Abbaurechte zu kommen?
Keine Kontrolle der Konzerne
Schlicht bringen aber auch arbeitslose Bergbauarbeiter die Sache auf den Punkt: „Es gibt so viele Hügel hier“, sagt einer, „Banro könnte uns doch unseren kleinen Ort hier zum Abbau lassen.“ Doch das ist in der Logik des Raubtierkapitalismus nicht vorgesehen; Banro ist eine kanadische Goldfirma. Dorfpfarrer Zihalirwa Charkirwa bezeugt vor Gericht etwa, dass es seit der Zwangsumsiedlung keine Straßen, keine Schulen, kein Trinkwasser, keine Arbeit mehr gibt. Die Abwassertümpel der Kassiteritmine haben Kühe, Ziegen und Schafe vergiftet. Entschädigung haben sie nie erhalten, Ansprechpartner gibt es nicht.
„Wir müssen vorwärts kommen“, sagt die Kommunikationsbeauftragte der Firma auf Video, im Korbsessel vor Meeresblick, zynisch lächelnd, „wenn sie nicht mit uns kooperieren, müssen wir sie zurücklassen.“ Es gibt keine wirksame Kontrolle von Konzernen, transnationale Unternehmen bewegen sich in Straflosigkeit und in Steuerfreiheit.
Großartig am „Kongo-Tribunal“ ist aber auch, dass er nicht nur im Gerichtssaal spielt, sondern auch direkt an die Schauplätze geht. In die umgesiedelten Dörfer, in unwegsamen Schluchten, deren Fehlplanung schon der schwierige, wackelige Abstieg vorführt. Oder in die Zentren der Milizenausbildung, wo die Logik, dass Selbstbewaffnung der Bevölkerung – und somit der zwangsläufige Weg in den Bürgerkrieg – als bester Ausweg erscheint, kaum widerlegt werden kann. Fast körperlich wird der zynische Zusammenhang begreifbar, wie sehr der Krieg im Kongo Europa, den USA und China hilft, billigste Rohstoffe zu sichern.
Hin und her wird im Gerichtssaal die Schuld geschoben, um Kopf und Kragen reden sich auch die UNO-Mitarbeiter: „Ich würde das Wort Massaker vermeiden, die UNO kann auch nicht überall sein.“ Ein Lehrstück an staatlicher Korruptheit ist auch, wie dem Innenminister der Provinz Süd-Kivu auf die Frage, warum in Mutarule die Polizisten vor Ort nicht eingegriffen haben, nur einfällt, dass sie nicht für Nachtarbeit ausgebildet seien. Herausfordernd und ungläubig fragt er vom Zeugenstand: „Wer will denn den kongolesischen Staat der unterlassenen Hilfeleistung anklagen?“ Nach den Dreharbeiten wurde er übrigens entlassen. Er hat wohl einem kommunikativ Versierteren Platz gemacht.
UNO-Mitarbeiter
Der Film lässt aufgeklärt, verstört, beschämt zurück. Das „Kongo-Tribunal“ ist das Gegenteil von neokolonialer Überstülpung: Der Film beweist symbolisch, dass Rechtsprechung möglich ist. Er bringt Menschen zu Gehör, die sonst keine Stimme haben, setzt spielerisch Tatsachen ins Weltbewusstsein, die danach vielleicht leichter umgesetzt werden können. Mittlerweile gründet Untersuchungsleiter Sylvestre Bisimwa zivile Gerichtseinheiten in den Dörfern.
Im Kongo selbst hat der Film ein gewaltiges Echo gefunden: Rau hat tausendfache Kopien unters Volk gebracht, auch die Besucherzahlen sprengten alle Erwartungen. Milo Rau, dem weißen, privilegierten, männlichen Künstler europäisches Sendungsbewusstsein vorzuwerfen, ist wohlfeil. Denn das, was er geleistet hat, muss man erst einmal schaffen.
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