Doku über Kinderheime: Die unendliche Geschichte
Die Doku "Die Heimkinder - Geschlagen und vergessen?" historisiert deren aktuelle Probleme (Mi. 23.30 Uhr, ARD). Ein Tabu, das längst kein Tabu mehr ist.
Könnte man einfach so tun, als hätten wir nicht 2009, sondern - sagen wir - fünf Jahre früher, was könnte man nicht alles über diesen Film schreiben: Endlich bricht mal jemand das Tabu. Endlich erzählt mal jemand die verstörenden Geschichten der Kinder, die in den Kinderheimen der Nachkriegszeit systematisch missbraucht, gebrochen und ausgebeutet wurden. Im Frühjahr 2009 kann man allerdings beim besten Willen nicht mehr sagen als: Aha! Noch ein Film, der die verstörende Geschichte früherer Heimkinder nachplappert.
Das muss auch Sylvia Nagel klar gewesen sein. Über weite Teile ihres Films "Die Heimkinder - Geschlagen und vergessen?" bemüht sie sich, so zu tun, als hätten wir nicht 2009. Vergeblich natürlich - wem wäre das schon je geglückt? Einziges Resultat ihrer Bemühungen ist ein merkwürdig zeitloser, unpolitischer Dokumentarfilm, in dem die aktuellen Debatten lediglich angedeutet werden.
Stattdessen konzentriert sich Nagel auf längst erzählte Geschichten. Die von Wolfgang Focke zum Beispiel, der "viel unterwegs" ist, wie eine Stimme aus dem Off erklärt, während Focke auf den dazu gezeigten Bildern - Überraschung - in seinem Auto unterwegs ist. Und irgendwie fängt da das Problem auch schon an. Seit ein Artikel im Spiegel das Tabu durchbrochen hat und ehemalige Heimkinder einen Verein gegründet haben, ist das Thema immer wieder in wellenartigen Aufmerksamkeitsschüben in den Medien präsent. Seitdem hat Focke seine Lebensgeschichte so oder so ähnlich schon in der Berliner Zeitung, im NDR-"Kulturjournal", bei Radio Lippe und auch in der taz erzählt. Man kann also durchaus sagen, dass Focke viel unterwegs ist - auch in der deutschen Medienlandschaft.
Just im Moment der Filmaufnahmen ist Focke allerdings durch eine ganz andere Landschaft unterwegs, nämlich die des südlichen Ruhrgebiets. Und das nur im Dienste der Dramaturgie dieses Films. Trotzdem geht das Problem weiter. Denn Nagel bringt ihre Protagonisten in dem gescheiterten Versuch, mehr Nähe zu erzeugen, immer wieder an die Schauplätze ihrer Biografien zurück, sodass andauernd irgendjemand über einen Hof läuft, nachdenklich eine Fassade anschaut oder in einem leeren Zimmer sitzt, das irgendwann mal eine Heimküche oder ein Schlafzimmer war. Dabei sind die leerstehenden Gebäude an sich nichtssagend. Die Heime der Nachkriegszeit werden sowieso schon in den Erzählungen der Protagonisten vorstellbar. Die Kulisse illustriert einzig und allein die Fokussierung des Films auf die Vergangenheit.
So gibt es lediglich mal vier Sätze zum runden Tisch von Bund und Ländern, der in den nächsten zwei Jahren Entschädigungsforderungen diskutieren soll, dann die unkommentierte Aussage eines Paters, die Kirche sei für Entschädigungen eh nicht zuständig. Außerdem Focke - zwischenzeitlich Stricher, Zuhälter, Heiratsschwindler -, der unterwegs in seinem Auto erklärt, die Kindheit habe ihn kriminell gemacht. Das sind die wenigen Momente, in denen deutlich wird, dass es um kein historisches Problem geht, sondern um eines, das bis ins Jahr 2009 ragt. Ein bisschen mehr Gegenwart hätte dem Film gutgetan.
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