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Doku über Entebbe-EntführungKeiner wird zurückgelassen

1976 befreiten Israelis in Entebbe über 100 Geiseln aus den Händen deutscher und arabischer Terroristen. "Von Auschwitz nach Entebbe" blickt zurück (20.15 Uhr, Arte).

Nahum Dahan, Geisel in der entführten Air France-Maschine, wurde während des Geiseldramas von den Terroristen misshandelt. Bild: zdf

Es gab Zeiten, da waren israelische Kommandounternehmen keine Katastrophen, die mit Paintballgewehren anfangen und Pistolenschüssen aufhören. Einsätze wie der von Entebbe glichen eher klassischen Dramen. Wer nicht vollkommen ideologisch verblendet war, konnte in Entebbe leicht die Guten von den Bösen unterscheiden. Die Guten hatten dabei Glück, aber auch intelligente Planung und Mut auf ihrer Seite, wie die Doku "Von Auschwitz nach Entebbe. Israels Kampf gegen den Terror" zeigt.

In den frühen Morgenstunden des 4. Juli 1976 befreiten Fallschirmspringer der israelischen Armee über hundert Geiseln aus den Händen einer deutsch-palästinensischen Terrorgruppe, die zuvor eine Selektion unter den Passagieren vorgenommen hatte. Thomas Ammanns Dokumentarfilm wird heute erstmals auf Arte ausgestrahlt. Er zeichnet die Ereignisse nach und lässt israelische Soldaten, ehemalige Geiseln sowie Ex-Genossen der an der Entführung beteiligten Mitglieder der deutschen Revolutionären Zellen zu Wort kommen.

Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann brachten zusammen mit zwei Kämpfern der Volksfront zur Befreiung Palästinas den Air-France-Flug 139 von Tel Aviv nach Paris in ihre Gewalt. Geplant und angeordnet wurde die Aktion vom Militärchef der PFLP, dem Kinderarzt Abu Hani. Die Entführer zwangen den Piloten zur Landung in Entebbe, der damaligen ugandischen Hauptstadt. Dort hatte sogleich Idi Amin, der so brutale wie operettenhafte Diktator einen großen Auftritt vor den Geiseln, die im Flughafengebäude festgehalten wurden. Er unterstützte die Forderung der Entführer, die Geiseln gegen 53 Terroristen auszutauschen.

Am vierten Tag der Entführung wurden die israelischen Passagiere vom Rest getrennt. Alle anderen wurden nach Hause geschickt. Doch der Pilot der Maschine, Michel Bacos, weigerte sich, seine jüdischen Passagiere im Stich zu lassen. Seine gesamte Crew folgte seinem Beispiel.

Einer der Passagiere, Jitzchak David, sprach Böse, den Organisator der Selektion, an: "Ich glaube, ich habe einen großen Fehler gemacht. ich habe meinen Kindern erzählt, dass das Deutschland von heute nicht mehr das der Nazizeit ist. Aber wenn ich sehe, was Sie und Ihre Freunde mit alten Menschen und Kranken anstellen, dann kommt es mir so vor, als ob sich Deutschland gar nicht verändert hat." Sein Nachbar riet David davon ab, den deutschen Terroristen seine tätowierte Häftlingsnummer aus Auschwitz zu zeigen.

Für den Organisator der israelischen Rettungsaktion, Moshe "Muki" Betser, gibt es einen ganz konkreten Zusammenhang zwischen der Erfahrung der Ohnmacht in den deutschen Vernichtungslagern und der Erfahrung einer schlagkräftigen jüdischen Armee, die niemanden schutzlos zurücklässt, ganz egal, wo er sich befinden mag: "Ich sehe in Entebbe das Wesen des Zionismus. Hätten wir vor dem Zweiten Weltkrieg einen Staat und eine Armee gehabt, hätte es die Schoah so nicht gegeben."

Thomas Ammanns Film zeigt dieses Motiv in aller gebotenen Deutlichkeit. Über ein Detail aber schweigt er sich aus: Angeblich hat Air France ihren Piloten Michel Bacos nach seiner Rückkehr für seine Heldentat gerügt und bestraft. Man hätte gern gewusst, was dran ist an dieser Geschichte, die europäische Moral in ein trübes Licht taucht.

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6 Kommentare

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  • KH
    Karl H. Kaufmann

    Und dann sollte man mal HAARETZ lesen, die israelische Zeitung, am 8.7.2011:

     

    http://www.haaretz.com/weekend/week-s-end/setting-the-record-straight-entebbe-was-not-auschwitz-1.372131

     

    Nach 35 Jahren erzählt eine alte Geisel: "there was no selection".

     

    Brigitte Kuhlmanns Bild in der taz einmal anders zu lesen, das fehlt allerdings noch wirklich.

  • C
    carla

    @ich, 30.06.2010, 11:54 Uhr:

     

    Das sind die Kommentare, die ich von einer linksorientierten Leserschaft erwarte. Verständnisvolle Blicke auf Terror-Organisationen und brutale Diktaturen vom Schlage Idi Amins, Blindheit für die Gewalt gegen Zivilisten seitens der Geiselnehmer aber umso überzeugter davon, daß ja Israel das eigentliche Übel in der Welt sind. Die antisemitischen Linken sind ihren Vätern, den Nazis, die sie vorgeben zu bekämpfen, auf elende Weise ähnlich.

  • S
    sonnemann

    In dem Artikel wird spekuliert, was gewesen wäre, wenn Israel schon vor dem zweiten Weltkrieg eine Armee gehabt hätte. Als mögliche Antwort sei hier die Erklärung des amerikanischen jüdischen Kongresses, abgedruckt im britischen Daily Express vom 24 März 1933:

    "Ganz Israel in der ganzen Welt vereinigt sich,

    um einen wirtschaftlichen und finanziellen Krieg gegen Deutschland zu erklären.

    Das Erscheinen des Hakenkreuzes als Symbol des neuen Deutschlands hat das alte Kriegs-Symbol von Juda zu neuem Leben erweckt.

    Vierzehn Millionen Juden, die über die ganze Welt verstreut sind, stehen zusammen wie ein Mann, um den deutschen Verfolgern ihrer Mitgläubigen den Krieg zu erklären."

    Zum Glück hatte Israel damals keine Armee. Der Krieg wäre schon 1933 losgegangen.

  • M
    mec

    Wer nicht vollkommen ideologisch verblendet war, konnte in Entebbe leicht die Guten von den Bösen unterscheiden.

     

    gilt heute auch noch

  • S
    stauffenberg

    Ich würde Moshe Betser zustimmen, wenn er gesagt hätte "Ich sehe in Entebbe das Wesen des Judentums". Leider sprach er von Zionismus. Aber das Wesen des Zionismus konnten wir in den 40 Jahren seither Tag für Tag im Nahen Osten erleben. Es hat mit den Ereignissen von Entebbe nur die militärische Seite gemein. Gewalt kann eine Entführung beenden. Für dauerhaften Frieden ist mehr nötig, als eine eifrige israelische Armee.

  • I
    ich

    Wieviele Ugandische Soldaten auf Ugandischem Territorium wurden damals gleich nochmal von der Israelischen Armee getötet?