Django Reinhardt zum 100sten: Der Ausnahmegitarrist
Zum 100. Geburtstag von Django Reinhardt packt Susie Reinhardt Hommage, historische Neuverortung, Ahnenforschung und Rezeptionsgeschichte in ein Tributalbum.
taz: Frau Reinhardt, sind Sie ein Zirkuskind?
Susie Reinhardt: Ich bin das Kind von zwei Menschen, die sich im Zirkus kennengelernt haben. Mein Vater war Gitarrist im Zigeunerorchester, so hieß das damals. Heute würde es heißen, er gehörte zur Minderheit der Sinti und Roma. Meine Mutter war Tänzerin und Mitglied der Mehrheitsbevölkerung.
Mit dem Zirkus Althoff sind beide nach dem Krieg herumgereist. Standen Ihre Eltern gemeinsam auf der Bühne?
Das vermute ich. Beweis habe ich keine, ich war Nachzüglerin und wurde erst 1962 geboren, da war die Zirkus-Zeit schon vorbei. Meine Mutter fand diesen Teil ihrer Karriere nicht so rühmlich und hat ihn lieber verschwiegen.
Für den Jazzpianisten Duke Ellington war er ein Inimitable, unnachahmlich, oben im Olymp mit Sidney Bechet und Art Tatum. Am 23. Januar würde er hundert Jahre alt. Die Deutschen nennen ihn noch Jahrzehnte nach den Nazis: "König des Zigeunerjazz". Dank seiner Popularität entgeht der Gitarrist Django Reinhardt den Konzentrationslagern. Er stirbt erst 1953 bei Paris. Schlaganfall. Mit dem Album "Djangos Spirit - A Tribute to Django Reinhardt" versucht die Hamburger Journalistin Susie Reinhardt eine Neuverortung seiner musikalischen und kulturellen Vermächtnisse. Sie umgeht Zigeuner-Klischees und vermeidet die Romantisierung von Oldtimejazz. Nebenbei betreibt sie Ahnenforschung. Susie Reinhardt ist weitläufig mit Django verwandt. Und mit anderen Reinhardts auf ihrem Album.
Der Psychosomatiker Joachim Bauer hat herausgefunden, dass sich Gene ein- und ausschalten lassen, je nach Umgebung. Sind Sie in einer musikalischen Umgebung groß geworden?
Ja, Musik war immer der leichteste Teil meines Lebens, da fühle ich mich wohl, obwohl ich alles andere als eine Virtuosin bin.
Django Reinhardt war Gitarrenvirtuose, aber auch ein Autodidakt, der sich Musik selbst beigebracht hat. Im Begleitheft zu Ihrem Tribute-Album heißt es, Sie seien "weitläufig verwandt".
Mein Vater kommt aus der Sinti-Minderheit, der Teil der Sinti und Roma, der vor über 600 Jahren nach Westeuropa kam. Die Roma leben in Osteuropa. Ursprünglich kommt dieses Volk aus Westindien.
Gut, aber was heißt "weitläufig verwandt"?
Alles Mögliche, so genau weiß ich das nicht. Tradition und Herkunft spielen bei den Sinti keine große Rolle. Aus guten Gründen, unter der Hitlerdiktatur war es sehr gefährlich, zu dieser Minderheit zu gehören. Dem Nationalsozialismus fielen eine halbe Million Tote Sinti und Roma zum Opfer. Daher die Tradition des Verschleierns.
Wie war Ihre Familie betroffen?
Mein Vater war in drei Konzentrationslagern, Auschwitz-Birkenau, Bergen-Belsen und noch ein drittes.
Wie hat er überlebt?
Das weiß ich nicht, meine Eltern sind schon lange tot. Viele Überlebende konnten nicht über ihre Erfahrungen im KZ sprechen. Auch mein Vater konnte es nicht.
Haben Sie sich als Sinti-Kind gefühlt? Oder als Zigeunerkind?
Mir war nicht klar, was es bedeutet. Meine Eltern haben gesagt: Erzähl bloß keinem, dass dein Vater Zigeuner ist oder dass wir Zigeuner sind. Ich weiß gar nicht so genau, ob wir uns dazu gezählt haben. In den Sechzigerjahren saßen noch viele Nazis in höheren Positionen. Ich erinnere mich, dass mein Vater große Angst hatte, wenn er ins Krankenhaus musste. Er fürchtete, seine tätowierte KZ-Nummer würde dort für Aufsehen sorgen und Altnazi-Ärzte würden ihn vergiften.
Haben Sie sich geschämt, wenn Sie die Herkunft Ihres Vaters verschwiegen haben?
Nein, ich wusste das ja nicht. Mein Vater war Gebrauchtwagenhändler. Dass das nicht gut beleumdet ist, wusste ich. Wenn meine Mutter sagte, dein Vater ist Gebrauchtwagenhändler, dann musst du nicht auch noch erzählen, dass er Sinto ist, war mir das klar. Dabei habe ich mich selbst nicht geschämt. Ich fand meinen Vater ja toll, die schönen Autos, der 280 SE, später habe ich selbst bei ihm als Gebrauchtwagenhändlerin gearbeitet. Als sich meine Eltern scheiden ließen, besuchte ich die zweite Klasse und lebte danach bei meiner Mutter. Da war das noch eine schöne späte Annäherung an meinen Vater.
Betreiben Sie mit Ihrem Tribute-Album Ahnenforschung?
Ja, ich wollte mich mit diesem Teil meiner Geschichte befassen.
Ihre Plattenfirma schreibt von der "Spurensuche nach den eigenen Wurzeln." Stimmt das?
Ja.
Ist "Wurzel" nicht ein problematischer Begriff?
Warum?
Die Nazis haben die Juden als "wurzellose Kosmopoliten" bezeichnet. Das stand in einer Reihe mit Herumtreibern und Stromern. Dazu passt auch das Wort "Zigeuner". Ist es denn wichtig, Wurzeln zu haben?
Das Wort "Wurzeln" löst bei mir keine negative Assoziation aus. Es hat einen schönen Beigeschmack.
Wie reagieren Sie, wenn jemand Ihren Vater als Zigeuner bezeichnet?
Vor zehn Jahren hätte ich es ignoriert. Mein Vater hat sich selber so genannt. Das tun ja viele untereinander, auf ähnliche Art nennen Schwarze sich gegenseitig Nigger, eine Verkehrung des abwertenden Begriffs für die eigene Selbstermächtigung, so wie sich manche Frauen Schlampen nennen. Aber im Zuge der Recherchen habe ich Kontakt zu Sinti und Roma bekommen, und viele finden den Begriff schlimm. Er ist im Spätmittelalter aufgekommen und war immer abwertend gemeint.
In den Sechzigern galt Zigeuner noch als Schimpfwort. Django Reinhardt war "König des Zigeunerjazz". Heute ist er der "Vater des europäischen Jazz".
Ja, mein Vater hatte Platten von Schnuckenack Reinhardt, da stand drauf: "Musik deutscher Zigeuner". Die Debatte um die politische Korrektheit und die Bezeichnungen ist noch nicht so alt.
In Deutschland schwärmt man heute romantisch von Gypsy Jazz und Gypsy Swing. Einem englischen.
Wahrscheinlich liegt es an der Verfolgungsgeschichte in Deutschland. Im Ausland ist die Abwertung nicht so dramatisch, da kann man Gypsy sagen.
In letzter Zeit häufen sich gewaltsame Übergriffe gegen Sinti und Roma in Osteuropa, aber auch in Italien. Warum ziehen sie so einen Hass auf sich, auch bei vielen Deutschen?
Sie sind oft wenig integriert, haben ein niedriges Bildungsniveau, und es gibt die Tendenz, die Schwächeren zum Sündenbock zu machen.
Ist Ihr Tributalbum auch ein Versuch, diesen Feindbildern etwas entgegenzusetzen?
Ich will eine Kultur transportieren und zeigen, wie die Musik von Django Reinhardt weltweit Musiker inspiriert, ob sie nun Rap machen, Weltmusik oder Reggae, ob in München, New York oder Osaka.
Warum gerade Django Reinhardt?
Weil mich seine Biografie fasziniert. Er wird 1910 in Belgien in einem Roulotte geboren, das ist ein Zirkuswagen, der von einem Pferd gezogen wird. Hinten klappt man eine Tür runter, dann ist der Wagen eine Bühne. Da haben Djangos Eltern für Groschengagen ihre Show dargeboten, sie lebten in ärmlichen Verhältnissen. Der Vater verschwand bald und Django wuchs mit seiner Mutter in Paris auf. In der Barackenstadt La Zone. Dort lebten viele Sinti und Roma, da hat er sich durch Abgucken und Abhören das Gitarrespiel selbst beigebracht.
Do it yourself, ein Punk-Ansatz. Gilt der auch für Ihre eigene musikalische Herangehensweise? Ihre Band Hoo Doo Girl ist mit einer "recherche de Django Reinhardt" auf dem Album vertreten. Im Booklet wird Reinhardt als "einer der unverklemmtesten Gitarristen" bezeichnet. Gilt das auch für Sie?
Ich glaube, ich bin sehr unverklemmt, aber Django war zugleich Perfektionist. Im Studio hat er bei jedem Take improvisiert. Er hat sich dann selbst gehört wie einen Fremden und sich angefeuert: "Oh ma mère!", oder "Cest pas possible!"
Seinen speziellen Gitarrenstil musste er sich nach einem Unfall erarbeiten.
Als Django 18 war, geriet sein Wohnwagen in Brand. Beim Versuch, seine schwangere Frau zu retten, erlitt er schwere Verbrennungen. Fortan konnte er die beiden kleinen Finger der linken Hand nicht mehr bewegen, wirklich fatal für einen Gitarristen. Also hat er alles neu erlernt, den Daumen anders benutzt, neue Akkorde erfunden und darüber seinen Stil entwickelt. Er war doppelt gehandicapt, körperlich wie von der Herkunft, und wurde zu einem der weltbesten Gitarristen.
Und woher kommt der Name Django? Der Italowestern kam doch erst 1966.
Wahrscheinlich hat er den Namen geklaut, typisches Sinti-Klischee.
Er hat etwas geklaut, was es noch gar nicht gab?
Der Name bedeutet: Ich erwache. Im Romanes werden Namen aus Eigenheiten der Person abgeleitet. Djangos Mutter hieß Negros, sie hatte dunklen Teint und schwarze Haare.
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