Disqualifikation für Tennisprofi Zverev: Fluch der eigenen Aggressionen
Alexander Zverev rastet bei einem Tennisturnier in Mexiko aus und wird disqualifiziert. Der Vorfall dürfte weitreichende Konsequenzen haben.
Tock, tock, tock, tock, vier Mal drosch Alexander Zverev mit seinem Tennisschläger voller Wut auf den Schiedsrichterstuhl ein und verfehlte dabei den Fuß des Referees nur um Haaresbreite. Immer wieder fluchte Deutschlands bester Tennisspieler und beschimpfte den armen Unparteiischen in feinster englischer Gossensprache. Es waren verstörende Szenen, die sich beim ATP-Turnier im mexikanischen Acapulco am späten Dienstagabend Ortszeit abspielten.
Schon kurz zuvor im laufenden Doppel-Match hatte Zverev an der Seite seines brasilianischen Kumpels Marcelo Melo gegen Lloyd Glasspool/Harri Heliövaara (Großbritannien/Finnland) für einen mittleren Skandal gesorgt, als er im Tie-Break des dritten Satzes den Schiedsrichter mehrfach als „verdammten Idioten“ bezeichnet hatte. Wobei sich verdammter Idiot noch eher harmlos anhört, im Vergleich zu der vom Deutschen genutzten englischen F-Wort-Variante.
Zverev/Melo verloren das Spiel schließlich mit 2:6, 6:4 und 6:10. Ein paar strittige, aber korrekte Entscheidungen sorgten dafür, dass bei Zverev nach dem Handshake schließlich sämtliche Sicherungen durchbrannten. John McEnroe war für solche Sachen bekannt. Der geniale Tennis-Rüpel konnte in den 1980ern auch schön ausrasten. So stumpf und idiotisch wie Zverev hatte man aber selbst den Amerikaner nie gesehen. Jeder, der sich im Tennis ein bisschen auskennt, wusste, dass die Bilder, die Zverev produziert hatte, nicht ohne Folgen bleiben würden. Es dauerte nicht mal eine Stunde, bis die ATP, die Vereinigung der Profi-Spieler, Zverevs Disqualifikation auch für den Einzelwettbewerb via Twitter öffentlich machte. Es war die logische Konsequenz eines Vorfalls, der nicht entschuldbar ist – und der für Zverev weitreichende Folgen haben wird.
Es fing alles so gut an in Acapulco. Das Turnier an der mexikanischen Pazifikküste gehört zu Zverevs Lieblingsevents. Im vergangenen Jahr spielte der Hamburger hier groß auf und gewann den Titel. Dieses Mal startete Zverev sogar mit einem Weltrekord. Sein Erstrunden-Spiel gegen den Amerikaner Jenson Brooksby endete Dienstag erst um 4.55 Uhr Ortszeit und damit so spät, oder so früh, wie kein Spiel zuvor auf der Tour. „Es war ein unglaublicher Kampf, ein unglaubliches Match. Ich hoffe, dass diese Woche noch viele weitere folgen werden“, sagte Zverev. So kann man sich täuschen: Knapp 24 Stunden später war das Turnier für Zverev vorbei. Wegen unsportlichen Verhaltens, so hieß es im Statement der ATP.
Wunsch nach emotionaler Bindung
Im vergangenen Dezember wurde Zverev eine, nun ja, große Ehre zuteil. Er wurde in seiner Heimat zum Sportler des Jahres gewählt. Das war verdient. 2021 war ein hervorragendes Tennis-Jahr für den Weltranglisten-Dritten. Er siegte bei großen und bedeutsamen Turnieren und gewann bei den Olympia sogar die Goldmedaille. Zum Abschluss der Saison krönte er sich mit dem Triumph bei den ATP-Finals in Turin zum inoffiziellen Weltmeister. Zverev begann auch mithilfe dieser Erfolge langsam, eine emotionale Bindung zum deutschen Tennispublikum aufzubauen. So richtig gefunkt hat es nämlich noch nicht. Der Hamburger kann manchmal immer noch unnahbar wirken. Aber sein Image wurde nicht zuletzt durch die Sportler-des-Jahres-Ehrung besser.
„Ich wünsche mir, dass die Leute nachts für mich aufstehen und mit mir mitfiebern, wenn ich um Titel kämpfe“, hat Zverev in einem Interview mal gesagt. Der Schrei nach Anerkennung ist bei Zverev nie verstummt. Nach den Szenen von Acapulco muss man festhalten: Wohl nur die eingefleischtesten Fans werden sich in Zukunft den Wecker stellen. Zverev hat sich auf einen Schlag selber viel kaputt gemacht.
Und es sind ja nicht nur Vorbildfunktion und Image, die Zverev in Mexiko flöten gegangen sind. Beim Blick in die sozialen Medien offenbart sich eine weitere Nebenwirkung: Das Aggressionspotenzial, das der Deutsche frisch demonstriert hat, wird in Verbindung mit den noch im Raum stehenden Gewalt-Anschuldigungen seiner Ex-Freundin Olga Sharypova gebracht. Das ist zwar weit hergeholt, aber das Feuer ist längst entfacht. Nach dem Motto: Wer so auf dem Platz ausrastet, dem ist auch sonst alles zuzutrauen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt