Diskussion um die Euro-Rettung: „Hände weg vom Grundgesetz“
Muss das Grundgesetz wegen der Euro-Rettung durch eine neue Verfassung ersetzt werden? Ex-Verfassungsrichter Di Fabio meint, die Politik habe noch viel Raum zum Handeln.
BERLIN taz | Ex-Verfassungsrichter Udo Di Fabio hat in einem Spiegel-Interview die Politik davor gewarnt, das Grundgesetz durch eine neue Verfassung zu ersetzen. Dabei stammt die Idee gar nicht von der Politik, sondern vom Bundesverfassungsgericht. Zugleich versuchte Di Fabio, der Bundesregierung die Angst vor einer Karlsruher Blockade bei der Euro-Rettung zu nehmen. „Die Politik hat viel Freiraum“, sagte der Ex-Richter, „der bei weitem nicht ausgeschöpft ist.“
Di Fabio war von 1999 bis zum Dezember 2011 Richter am Bundesverfassungsgericht. Dabei war er auch für Euroapafragen federführend, weshalb sein Wort hier besonderes Gewicht hat.
Auch beim Urteil über den Lissabon-Vertrag der EU war Di Fabio federführend. Damals ließ das Bundesverfassungsgericht den Vertrag, der eine engere EU-Zusammenarbeit vorsah, zwar passieren. Zugleich stellte Karlsruhe jedoch zum Entsetzen der Politik und der anderen EU-Staaten fest, dass das Grundgesetz den Beitritt Deutschlands zu einem europäischen Bundesstaat verbiete. Auch bestimmte Politikfelder müssten im Kern national bleiben, zum Beispiel die Haushaltspolitik. Eine Überwindung dieser Hürden sei nur möglich, wenn sich das deutsche Volk eine neue Verfassung gebe.
Im Zuge der Euro-Krise wurde schnell deutlich, wie restriktiv dieses Urteil ist. Einerseits hat die Bundesregierung ein Interesse daran, dass Kredite nicht unkontrolliert vergeben werden, andererseits würde eine stärkere Haushalts-Kontrolle durch Brüssel die Souveränität der EU-Staaten im Kernbereich aufweichen. Das passte nicht zusammen.
Die Karlsruher Richter deuteten deshalb im letzten Herbst an, dass die Hürde zur Überwindung des Grundgesetzes doch nicht so hoch sei, wie sie klinge. Wenn man sie überschreiten wolle, müsse eben das Volk gefragt werden, sagte Andreas Voßkuhle, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Und Peter Huber, inzwischen Di Fabios Nachfolger als Berichterstatter für Europa-Urteile, ergänzte: Die Schaffung einer neuen Verfassung könne sich „auf wenige geänderte Sätze“ beschränken.
Kurskorrektur der Verfassungsrichter?
In der Bundesregierung war niemand von der Aussicht begeistert, eine Volksabstimmung über Europafragen durchzuführen. Aber nach den eindeutigen Hinweisen aus Karlsruhe wurde natürlich auch darüber nachgedacht.
Nun aber dreht Di Fabio solche Überlegungen perfiderweise gegen die Politik: „Wenn die politische Klasse sich durch diese Verfassung unangenehm gebunden sieht, dann sollte sie nicht versuchen, dieses Grundgesetz auf Schleichwegen zu ändern“, sagte Di Fabio jetzt im Spiegel. Deutet sich hier eine Kurskorrektur der Verfassungsrichter an? Oder kritisiert Di Fabio damit indirekt auch die gedanklichen Schleichwege seiner Ex-Kollegen Voßkuhle und Huber?
Di Fabio jedenfalls hat eine andere Lösung für das Problem, die er schon im Dezember in seinem Abschiedsinterview andeutete. Er sieht in einer verstärkten europäischen Haushahltskontrolle gar keinen neuen Hoheitsverzicht. Schließlich hätten die Staaten, die der Währungsunion beitraten, sich auf eine Stabilitätspolitik eingelassen. Die „effektive Kontrolle von Unionsrecht“ sei kein Problem für die Souveränität der EU-Staaten, sagte Di Fabio und ergänzte: „Die gemeinschaftliche Aufsicht darf sehr streng sein.“
Keine neue Verfassung erforderlich
Di Fabio warnte davor, ohne Not in eine Grundsatzdiskussion über ein neues Grundgesetz einzutreten. „Hände weg vom Grundgesetz“, ist seine Losung. Er trifft sich dabei mit Hans-Jürgen Papier, dem ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, der vor kurzem ebenfalls davor warnte, das Grundgesetz zur Disposition zu stellen. Für Euro-Rettungsmaßnahmen sei keine neue Verfassung erforderlich.
Bei den Fragen, die an diesem Dienstag beim Bundesverfassugnsgericht verhandelt werden, sind solche Überlegungen wohl zu hoch gegriffen. Konkret geht es jetzt um Eilanträge gegen den dauerhaften Rettungsschirm ESM und den Fiskalpakt. Die Kläger, darunter der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler, behaupten zwar, hier sei eine neue Qualität erreicht, die mit dem Grundgesetz nicht mehr zu machen sei. Doch das sieht im Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts wohl kaum jemand so. Deshalb ist die Debatte um die Ablösung des Grundgesetzes auch eher Theaterdonner im falschen Stück.
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