Diskussion um Sexualstrafrecht: Neue deutsche Prüderie
Die Regierung will das Sexualstrafrecht verschärfen, kann sich aber nicht einigen. Gut so - denn das geplante Gesetzt führt zu einer Burkaisierung der Jugend.
Dass die Justizministerin Brigitte Zypries abwiegelt, ist ihrem liberalen Selbstverständnis zuzurechnen: "Kein Jugendlicher muss befürchten, bestraft zu werden, wenn er einen anderen ins Kino einlädt und hofft, dass es zum Austausch von Zärtlichkeiten oder sexuellen Berührungen kommt", betonte Zypries in einer Reaktion auf alarmierende Meldungen über ein Gesetz, das das Bundeskabinett bereits beschlossen hat. Es geht um schärfere Gesetze gegen Pornografie, in deren Mittelpunkt Kinder stehen und keineswegs, wie es aus dem sozialdemokratisch geführten Justizministerium heißt, um eine Kriminalisierung von hormonell aufgewühlten Pubertierenden.
Beschlossen werden soll, da gibt es kein Dementi, eine Schutzbestimmung, der zufolge Prostitution von nicht volljährigen Mädchen und Jungen für deren Kunden strafbar macht. Auch soll die, so heißt es, aufreizende Zurschaustellung von jugendlichen oder infantilen Körpern geahndet werden. Nicht jedoch, wenn ein Jugendlicher eine Gleichaltrige in einer, beispielsweise, Eisdiele, angräbt, ihr einen Paradiesbecher ausgibt und deutlich zu verstehen gibt, sie auch küssen zu wollen.
Das Problem bei diesem Gesetz ist allein ein Umstand, der es insgesamt als ein weiches Rechtskonstrukt kenntlich macht: Wertlos für die echten Fälle von sexuellem Missbrauch, kostbar aber für jene, die ohnehin die sexuelle Liberalisierung seit Mitte der Sechzigerjahre rückgängig machen möchten. Denn: Wann fängt eine Verführung an, der erotischen Anbahnung nützlich zu sein - wann ist sie ein Akt der sexuellen Gewalt? Macht sich ein Teenager strafbar - gleich ob weiblich oder männlich -, wenn er oder sie nackte Tatsachen per SMS verschickt: Wenn sie zum Beispiel nur dem "Vorglühen" (umgangssprachlich für "antörnen", real: in eine sexuell gewogene Stimmung bringen) vor dem realen Treffen dienen?
Und muss sich nicht auch eine Justizministerium fragen, dass es ein Gesetz vorbereitet, das der "moralischen Kolonisierung" dienlich ist, wie es die Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung befürchtet, also einer Renaissance von Werten, die alles Sexuelle wie Schmutz und Schund scheinen lässt?
Tatsächlich muss diese strafrechtliche Neubestimmung auch deshalb wundern, weil mit ihr die Wiederverhüllung aller jugendlichen Körper begründet werden kann - im Grunde also die Burkaisierung der sittlichen Standards. Mit den neuen Paragrafen könnte jede Werbung, die sich mehr oder weniger entblößter (meist kaum volljähriger) Körper bedient, verboten werden. Das Signal wäre: Deinen Körper entweihst du, gehst du mit ihm als Reklame deiner selbst spazieren - jeder Quadratzentimeter versteckter Haut käme damit, dem Sinn nach, einem stabilen Wall gegen sexuellen Missbrauch gleich.
Selbstverständlich wäre dies ein Kampf gegen Moden und Sitten, die sexueller, unter Jugendlichen vor allem, kaum sein könnten. Mädchen und Jungen, kaum geschlechtsreif, die sich wie Sexmodels inszenieren; Jugendliche, die sich gegenseitig zu imponieren suchen, indem sie Gleichaltrigen mannigfaltige Sexualaktivitäten (allermeist) vorlügen. Andererseits sind es gerade christliche Kreise, die in den vergangenen Jahren sich angetrieben fühlen, für eine neue Enthaltsamkeit zu werben - sie nennen es "Werte", für die in Sonderheit der katholische Klerus sich zuständig fühlt.
Werte sind es, die an der deutschen Ostseeküste dazu führen, dass Kurverwaltungen ihre FKK-Strände auflösen, weil Gäste aus deutschen Gegenden mit starker Bibellast (Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen) sich an dieser Freizügigkeit durchaus illiberal stören; Werte auch, die am liebsten jeden Sexualkundeunterricht aus Schulen aussperren möchten; Werte gleichfalls, die eigentlich Geschlechterdemokratie, Scheidung, Abtreibung, Homosexualität, selbstbestimmte Sexualität für gottlos und damit verbotswürdig halten.
Nur verschoben
Immerhin: Auf Druck der Opposition - von der Linken über die FDP bis zu den Grünen - und nach ihren heftigen Protesten ist die Diskussion des Gesetzes nun von der Tagesordnung des Bundestag genommen worden. Dennoch: Dieses Gesetz wird wieder aufgenommen werden, denn das Gerüst ist von der Europäischen Union vorgegeben, es muss national umgesetzt werden.
Einstweilen muss der Gesetzgeber überlegen, wie er tatsächlich Jugendliche schützt. Mit Paragrafen, die nur verwirren und die Lust am sexuellen Ausprobieren töten, gewiss nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Selenskyj bringt Nato-Schutz für Teil der Ukraine ins Gespräch
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär
Überraschende Wende in Syrien
Stunde null in Aleppo
Liberale in der „D-Day“-Krise
Marco Buschmann folgt Djir-Sarai als FDP-Generalsekretär