Diskussion um Görlitzer Park: Grüne Publikumsbeschimpfung
Bei einer Versammlung von Anwohnern des "Görli" sagt Kreuzbergs Bürgermeisterin radikalen Störern gründlich die Meinung.
Mit hochrotem Gesicht brüllt Monika Herrmann ins Mikrofon. Weit über 100 Menschen sind im Saal. Eine Abstimmung zu Beginn dieser Versammlung hat gezeigt: Die Mehrheit möchte darüber diskutieren, wie aus dem Görlitzer Park in Kreuzberg wieder ein Ort für alle wird. Eine Minderheit vereitelt das: Buhrufe, Pfiffe und Sprechchöre hallen durch das Jugendhaus Chip. Jeder andere Redner hätte bei dem Krach längst die Segel gestrichen. Nicht so die grüne Bürgermeisterin von Friedrichshain- Kreuzberg. „Was habe ich da gerade gehört?“, ruft sie den Störern zu. „Ihr bezeichnet uns als gutbürgerliche weiße Wichser?“ Die Sprechchöre werden lauter. „So nicht!“, brüllt Herrmann.
Durchsetzungsvermögen und Führungsstärke, die hatte man bei der Bürgermeisterin 2014 allzu oft vermisst, wenn es um den Umgang mit den Flüchtlingen in der Gerhart-Hauptmann-Schule und mit dem Drogenhandel im Görlitzer Park ging. Bei der Einwohnerversammlung am Donnerstagabend wirkt Herrmann nun wie ausgewechselt.
Spätestens seit der Wirt einer Shishabar im November in einem mutmaßlichen Akt von Selbstjustiz einen Dealer niederstach, ist klar, dass die vielgepriesene Toleranz der Kreuzberger an ihre Grenzen gekommen ist. Seither zeigt die Polizei im Park Dauerpräsenz. Das Heft wieder in die Hand zu bekommen, den Park wieder für Familien nutzbar zu machen: darum soll es bei der Veranstaltung gehen. Stärkeres Engagement der Kreuzberger sei gefordert, bringt es eine Mitarbeiterin des Kinderbauernhofs auf den Punkt. Ein anderer fordert Parkwächter. Wieder ein anderer spricht sich für eine Zone aus, in der Dealer geduldet würden. Die schreiende Minderheit indes verhindert jede Debatte.
Nicht nur der auf dem Podium sitzende Innenstaatssekretär Bernd Krömer (CDU) wird niedergebuht: „Krömer vertreiben–Flüchtlinge bleiben.“ Auch Anwohner, die sich nur im Ansatz kritisch über die Dealer äußern, werden als Rassisten bezeichnet.
Dann ergreift die Bürgermeisterin das Wort. „Soll ich euch mal sagen, wer in meine Sprechstunde kommt?“, ruft sie. „Das sind die Migranten, die diesen Bezirk aufgebaut haben.“ Gegen den Krach anbrüllend, berichtet Herrmann von Beschwerden von Migrantinnen, die sexuellen Belästigungen von Dealern ausgesetzt seien. Bis zu ihrer Haustür würden die Frauen verfolgt. „Das wollt ihr nicht hören. Aber das ist die Realität“, ruft Herrmann.
Sie habe die Schnauze voll, dass Anwohner, die die Situation verändern wollten, beschimpft würden. „Ihr habt die Leute nicht zu bedrohen“, ruft die Bürgermeisterin den Krakeelern zu. „Hier hat keiner Angst haben zu müssen.“ Von der Mehrheit bekommt sie Applaus. Kurz darauf wird die Veranstaltung wegen der Störungen abgebrochen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour