Diskussion um Flüchtlingspolitik: Seehofer fordert Merkel zu Wende auf
Grenzkontrollen, notfalls zurückweisen – so hätte CSU-Chef Seehofer gern die Politik der Kanzlerin. Wolfgang Schäuble (CDU) kritisiert derweil SPD-Chef Gabriel.
Die von Merkel favorisierte Lösung, auf europäischer Ebene der Türkei Kontingente von Migranten abzunehmen, sei zwar immer noch möglich, betonte Seehofer. Er befürchte allerdings eine andere Entwicklung: „Wenn das so weitergeht, ist die von mir definierte Obergrenze von 200.000 schon im März erreicht, und es besteht die Gefahr, dass wir schon vor Jahresende wieder eine Million Flüchtlinge im Land haben werden.“
Seehofer warnte die Schwesterpartei CDU davor, den Blick für die Realität zu verlieren. „Vor der kann man eine Weile wegrennen, weil sie nicht ins politische Konzept passt. Aber dann wird uns eben die Bevölkerung weglaufen“, sagte der CSU-Chef zwei Wochen vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt.
Sein Verhältnis zur Kanzlerin in den vergangenen Monaten beschrieb Seehofer mit den Worten, sie beide arbeiteten vernünftig zusammen. Er sehe keine Alternative zur Kanzlerin. Zugleich ließ Seehofer die Frage des Spiegels offen, ob seine CSU Merkel wieder als Kanzlerkandidatin unterstützen würde, wenn die CDU-Vorsitzende bei ihrem Kurs bleibt.
„Erbarmungswürdiges Gerede“
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) eine „erbarmungswürdige Politik“ in der Flüchtlingskrise vorgeworfen. Mit Blick auf das von Gabriel geforderte Solidaritätsprojekt für die deutsche Bevölkerung parallel zur Flüchtlingshilfe, sagte Schäuble am Samstag in Shanghai: „Wenn wir Flüchtlingen – Menschen, die in bitterer Not sind – nur noch helfen dürfen, wenn wir anderen, die nicht in so bitterer Not sind, das gleiche geben oder mehr, dann ist das erbarmungswürdig.“
SPD-Chef Gabriel hatte im ZDF ein „neues Solidarprojekt“ mit Kita-Plätzen für alle, mehr Geld für den sozialen Wohnungsbau und einer Aufstockung kleiner Renten sowie eine Abkehr vom Sparkurs gefordert. Er wolle verhindern, dass sich die einheimische Bevölkerung angesichts der Milliardenausgaben für Flüchtlinge benachteiligt fühlt. Der Bild am Sonntag sagte Gabriel: „Wenn der CDU (...) der Überschuss an Steuern im Haushalt wichtiger ist als der gesellschaftliche Zusammenhalt, dann macht sie sich mitschuldig an der Radikalisierung im Land.“
Schäuble erwiderte: „Dieses Gerede, dass ich jetzt in allen Bereichen der Politik mehr Geld ausgeben muss, als in der Finanzplanung vorgesehen ist, damit nicht wegen der Flüchtlinge der Rechtsradikalismus steigt – das ist nun wirklich erbarmungswürdig.“
Die Bewältigung dieser außergewöhnlichen Flüchtlingsbewegung habe oberste Priorität. Dem müsse alles andere untergeordnet werden – „wenn möglich ohne neue Schulden“. Schäuble mahnte: „Wenn alles prioritär ist, ist nichts prioritär.“ Vielleicht sei das nicht jedem Sozialdemokraten kurz vor Landtagswahlen verständlich zu machen. Gabriel habe es als SPD-Chef auch schwer. Schäuble betonte aber: „Wir kürzen ja gar nicht.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“