Diskussion über Verkehrssicherheit: Raser auf der falschen Spur
Statistisch gesehen passieren Unfälle mit Geisterfahrern selten. Trotzdem haben Karambolagen jetzt wieder eine Debatte über Verkehrssicherheit ausgelöst.
![](https://taz.de/picture/178400/14/Geisterfahrer1dpaqw.jpg)
BERLIN taz | Es sind die Unfälle, die es in die Tagesschau schaffen: Am Neujahrsabend zum Beispiel. Da bog ein 40-Tonner falsch auf die A 1 ein. Beim Versuch zu wenden, stieß der Lkw mit mehreren Pkws zusammen. Zwei Menschen kamen zu Tode. Durch Geisterfahrer bedingte Unfälle seien „spektakulär, statistisch aber irrelevant“, sagt Wolfgang Schubert, Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie in Berlin.
Trotzdem gibt es derzeit wieder eine lebhafte Debatte, wie Falschfahrten verhindert werden könnten. Die öffentliche Wahrnehmung sei durch Verschwörungstheorien geprägt – „bis hin zur Suizidvermutung“, so Schubert. Die TU Dresden untersuchte 2012 mehr als 20.000 Verkehrsunfälle mit Todesfolgen, die sich seit dem Jahr 2000 ereigneten. Nur 11 wurden von Geisterfahrern verursacht.
Dass Autofahrer falsch auf Autobahnen oder andere Straßen mit getrennten Spuren einbiegen, kommt jedoch immer wieder vor, und an manchen Stellen besonders häufig. Der Allgemeine Deutsche Automobil-Club e. V. (ADAC) hat bei einer Auswertung aller Falschfahrermeldungen aus den Jahren 2010 und 2011 um die 30 auffällige Strecken identifiziert. Es handelt sich größtenteils um Zubringer- und Verbindungsstraßen in Ballungsgebieten.
Das größte Risiko, falsch abzubiegen, besteht laut ADAC auf kurzen Autobahnabschnitten. Im Vergleich der Bundesländer liegen Berlin, Hamburg, Bremen und das Saarland weit vorn. Der ADAC erklärt dies mit einer höheren Anzahl von Anschlussstellen in dicht besiedelten Räumen. Deutlich besser schnitten die ostdeutschen Länder ab. Fernstraßen im Osten seien oft neuer und nach aktuelleren Richtlinien ausgebaut und beschildert, Wegweiser befänden sich in einem besseren Zustand.
Wenden auf der Fahrbahn
Eine Studie der schweizerische Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu) zeigt, dass vor allem junge FahrerInnen oft versuchten, auf der Fahrbahn zu wenden, wenn sie sich verfahren haben. Auf diese Weise passierten 40 Prozent der Fahrten in die falsche Richtung. In 50 Prozent der Fälle führen ältere Leute falsch auf Autobahnen auf, weil sie Ab- und Auffahrten verwechselten.
Eine bessere Ausschilderung ist für viele Experten deshalb der Schlüssel zur Vermeidung von Geisterfahrten. In Österreich und den Niederlanden haben grelle Schilder mit der Aufschrift „Stop, falsch“, die flächendeckend an Anschlussstellen und Rastplätzen stehen, den Autoren der bfu-Studie zufolge die Anzahl der Geisterfahrten verringert.
Der ADAC fordert solche Warnschilder sowie zusätzliche Leitlinien und Pfeile auch für alle Gefahrenstellen in Deutschland. Anschlüsse und Autobahnkreuze sollten nachts regelmäßig darauf geprüft werden, ob die Markierungen sichtbar und verständlich genug sind. Die neongelben Warntafeln an allen 4.000 Auffahrten und 2.000 Rastanlagen Deutschlands anzubringen, dürfte laut ADAC rund 30 Millionen Euro kosten.
Krallen auf der Fahrbahn
Eine andere Lösung wären Krallen, wie es sie in den USA gibt. Sie zerfetzen die Reifen von Fahrzeugen, die in die falsche Richtung fahren. Davon rät die bfu allerdings ab: Platzende Reifen steigerten nur die Gefahr. Eine kostengünstigere Alternative sieht Psychologe Schubert in der Wissensvermittlung. Einmal auf der falschen Spur, wüssten Autofahrer oft nicht, wie sie reagieren sollen. „Man unterschätzt die Gefahr und überschätzt die eigenen Möglichkeiten“, so der Experte. Anstatt rechts ranzufahren und die Polizei zu rufen, versuchten Autofahrer, die Situation selbst zu retten – aus Angst vor Strafen.
Eine Korrektur des Fehlers sei aber nur mit fremder Hilfe möglich. Andere Kritiker fordern weitreichendere Maßnahmen. Schilder würden Autofahrer meist erst zu spät auf den Fehler aufmerksam machen. Sie fordern städtebauliche Änderungen. Auf- und Abfahrten müssten weiter auseinander gebaut werden, damit sie nicht verwechselt würden.
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