Diskurs: Multikulti war nur ein Schlagwort
Der CDU-Mann Stefan Luft will den konservativen Diskurs überwinden. Sein Buch "Abschied von Multikulti" ist für einen Christdemokraten nicht übel.
L inke und Ausländerpolitik - seit zwei, drei Jahren geht das nicht mehr zusammen. Denn es scheint ausgemachte Sache, dass die Linke mit ihren integrations- und ausländerpolitischen Vorstellungen grandios gescheitert ist. Dies zumindest hat das konservative Feuilleton diagnostiziert.
Wenn nun heute ein Buch mit dem Titel "Abschied von Multikulti" erscheint, darf eine weitere Abrechnung mit der Linken und ihren vermeintlichen Lebenslügen erwartet werden. Zumal der Autor Referent der der CDU nahestehenden "Konrad-Adenauer-Stiftung" und Sprecher des Bremer Innensenators war. Aber der Titel führt in die Irre. Denn der Politikwissenschaftler Stefan Luft zieht weniger gegen naive Multikulturalisten zu Felde, vielmehr versucht er, eine Brücke zwischen dem faktenarmen konservativen Diskurs und den migrationspolitischen Realitäten der Vergangenheit und Erfordernissen der Gegenwart und Zukunft zu schlagen.
Detailliert und zahlenverliebt schildert Luft zunächst Beginn und Verlauf der Anwerbung von Arbeitskräften durch die deutsche Industrie. Anhand zahlreicher Dokumente belegt der Autor, wie sich die Wirtschaftsverbände einer planmäßigen und politisch vertretbaren Anwerbung widersetzten; und die Unfähigkeit der seit 1955 regierenden Parteien CDU, FDP und SPD, eine rationale Integrationspolitik zu gestalten.
Mit der Nacherzählung der Migrationsgeschichte widerspricht Luft ganz nebenbei und unbeabsichtigt der These, die Linken und der ihr unterstellte Multikulturalismus hätten hauptverantwortlich zu den Verwerfungen im Zuge der Einwanderung beigetragen.
Luft dokumentiert darüber hinaus, dass es an Stimmen, die vor den explosiven Folgen der Desintegration gewarnt haben, bereits vor dreißig, vierzig Jahren nicht gefehlt hat. Häufig kamen diese aus den Gewerkschaften, Sozialverbänden und den Kirchen. Später dann von linksliberalen Migrationsforschern.
Auch das dürfte den ein oder anderen überraschen. Es waren zunächst vor allem konservative Politiker, die einen verqueren Multikulturalismus vertraten. "Notwendig erscheint uns, die Muttersprache und heimatliche Kultur insbesondere bei ausländischen Kindern und Jugendlichen ebenso zu bewahren und zu fördern wie [...] familiäre Strukturen und Traditionen", forderte zum Beispiel der bayrische Staatsminister Fritz Pirkl (CSU) 1981.
Luft kommt nicht umhin, mit einer Reihe von Legenden der aktuellen Migrationsdebatten aufzuräumen. Zum Beispiel mit der Behauptung, die Ausländer hätten sich aus freien Stücken und aus purer Integrationsunwilligkeit in ethnische Kolonien zurückgezogen. Zwar haben bereits Legionen von Stadtsoziologen und Migrationswissenschaftlern nachgewiesen, dass die Konzentration von Ausländern in bestimmten Vierteln viel mit Sanierungspolitik und Benachteiligung auf dem Wohnungsmarkt zu tun hat, aber es schadet nichts, wenn Konservative dies noch einmal aus berufenem Munde hören.
In Argumentationsnöte gerät der Autor in seinem Kapitel "Der schwierige Abschied vom Multikulturalismus". Denn anders als in Kanada, den Niederlanden oder Großbritannien hat die Konzeption des Multikulturalismus in Deutschland weder unter der Mehrheit der Linken noch in migrationspolitischen Fachkreisen jemals eine ernst zu nehmende Rolle gespielt.
Multikulti war in Deutschland nie mehr als ein aus dem Angelsächsischen übernommenes Schlagwort, eine Chiffre, mit der die Komplexität und die Folgeerscheinungen der Einwanderungsgesellschaft beschrieben wurden. Aber seis drum. In dem Luft hier einen Popanz aufbaut, bietet sich die Gelegenheit, ein wenig auf eine gutmenschelnde Mittelklasse einzuschlagen, auf randständige Linke und extreme Rechte mit ihren abstrusen Ideen. Dieses Kapitel ist nicht mehr als ein Zugeständnis an den Zeitgeist und seine Schlagworte.
Was tun? In dem Kapitel "Wege aus der Integrationskrise" unterbreitet der Autor auf 35 Seiten Dutzende von Vorschlägen. Hier verlässt er den sicheren Boden der Empirie. Etwas atemlos und gedankenarm fächert er einen Maßnahmenkatalog auf, der zwischen Vernünftigem, Absurdem und Reaktionärem schwankt. Auf den zentralen Stellenwert von "Bildung, Bildung, Bildung" hinzuweisen ist immer richtig. Ebenso, ausreichend Sprachkurse für Einwanderer einzuklagen. Da dies von Pädagogen, Migrantenverbänden und der Bildungsgewerkschaft GEW seit Jahrzehnten vergeblich gefordert wird, wäre an dieser Stelle eine genauere Analyse angebracht gewesen, wer bis in die Gegenwart entsprechende Maßnahmen blockiert.
Aber was, bitte schön, soll die Forderung, "arrivierte Landsleute der Zuwanderer" sollten mehr Engagement zeigen und positives Vorbild sein? Tun das Leute wie Cem Özdemir, Lale Akgün, Nadeem Elyas, Vural Öger und viele hundert andere etwa nicht? Und was ist von dem Vorschlag zu halten, die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts müsse rückgängig gemacht werden, da die Einführung des Jus Soli auf Dauer die Integrationskrise nur verschärfen werde? Sollen wir den Kindern und Jugendlichen sagen: "Ätsch, wir wollen euch doch nicht!"?
"Abschied von Multikulti" ist ein höchst widersprüchliches Buch, das zwischen dem Referieren nüchterner Fakten und reaktionären Knallfröschen mäandert. Wenn dieser Schlingerkurs dazu beiträgt, dass vor allem unter den Konservativen ein Nachdenken über die real existierende Migration beginnt, dann kann "Abschied von Multikulti" trotz seiner wenigen wirklich neuen Erkenntnisse ein Buch mit einem gewissen Gebrauchswert werden.
Stefan Luft: "Abschied von Multikulti. Wege aus der Integrationskrise". Resch Verlag, Gräfelingen 2007, 480 Seiten, 19,90 Euro
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