Discounter rüsten auf: Die Aldisierung des Essens
Billig essen in Rezessionszeiten: Die Discounter liefern sich seit Jahresbeginn einen harten Preiskampf. Sie machen vielgekaufte Produkte noch billiger und sparen beim Personal.
In keinem europäischen Land sind Discounter so stark vertreten wie in Deutschland. Die Deutschen haben 2008 für 151,6 Milliarden Euro Lebensmittel eingekauft, davon 44 Prozent bei Discountern.
Aldi und Lidl verfolgen aber auch außerhalb von Deutschland eine aggressive Wachstumsstrategie. Selbst in den USA verfügt Aldi über 1.000 Filialen, und Lidl startet ab März in der Schweiz.
Angeführt wird der Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland von Edeka (laut Nielsen Group 32 Milliarden Umsatz in 2007), gefolgt von Rewe (24 Milliarden). Auf Platz Drei liegt die Schwarz-Gruppe, der die DiscounterLidl und Kaufland gehören. An vierter Stelle rangiert Aldi (jeweils 20 Milliarden).
250 Gramm Butter für 65 Cent, der Liter Milch 49 Cent - bei Aldi, Lidl oder Penny zahlt der Kunde für zentral wichtige Lebensmittel derzeit so wenig nie. Seit Jahresbeginn haben die deutschen Discounter die Preise schon dreimal gesenkt. Das Personal kommt kaum hinterher mit dem Kleben neuer Preisschilder.
"Einen Preisverfall in dieser Größenordnung hat es in Deutschland noch nie gegeben", sagt Wolfgang Twardawa. Twardawa beobachtet für die Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung seit Jahren die Einkaufsgewohnheiten der Deutschen. Er meint: "Die Discounter rüsten für die Rezession."
Dabei kaufen die Deutschen schon heute ihre Lebensmittel zum großen Teil in den Billigläden ein. Deren Marktanteil liegt bei 44 Prozent. "Der wird aber noch deutlich wachsen bis Ende des Jahres", sagt Twardawa. Bis dahin werden noch mehr Kunden noch öfter den Rewe- oder Edeka-Supermarkt links liegen lassen. Auf den Tisch kommt No-Name- statt Markenbutter. Deutschland isst, trinkt, lebt in schlechten Zeiten anders.
"Wir werden nicht verhungern", meint der Ernährungsexperte Udo Pollmer, "die Deutschen verleiben sich dieselben Kalorien ein" - eben für weniger Geld. Natürlich muss nicht jeder genau auf den Cent achten. Senioren mit guten Renten, Lehrer und Beamte verfügten durchaus über Reserven, erklärt Marktforscher Twardawa. Doch die Menschen igelten sich derzeit gerne ein - Cocooning nennen die Experten das. Wem die Welt draußen zu kompliziert wird, der zieht sich zurück. "Wir wollen nicht auch noch auf dem Barhocker über die schlechte Weltlage reden müssen." Das Sofa daheim ist einladender.
Also sparen sich viele das Feierabendbier in der Kneipe. Die "getränkeorientierte Gastronomie", so sagen Statistiker, verzeichnete im Dezember einen Rückgang von satten 8 Prozent. Kostet ein ordentliches Pils im Wirtshaus 3,50 Euro, kriegt man ein Aldi-Bier schon für 29 Cent. Zu Hause lässt sich billiger trinken - und auch speisen. Jeder besorgt sich sein Essen selbst. Das merkt der gesamte Lebensmitteleinzelhandel: Er hat im Januar um 4 Prozent zugelegt.
Normalerweise gibt Aldi, der Marktführer unter den Discountern, die Preise vor, die anderen Ketten ziehen nach. Die jüngste Schlacht hat allerdings Lidl begonnen. Die Waffen: neben Butter auch Prosecco, Spaghetti und Zucker. Gewinn machen die Discounter mit diesen Billig-billig-Preisen eher nicht. Allerdings werden vor allem die Artikel heruntergesetzt, die häufig eingekauft werden und deren Preise darum jeder kennt. Andere Waren im Sortiment bleiben durchaus teuer. Es geht dabei nur um eins: die Kunden locken - und ihr knapper werdendes Geld. In schlechten Zeiten kommt das an: Man isst nicht weniger, sondern nur billiger.
Allenfalls gönnt man sich mal einen Besuch im Burgerrestaurant: In der Systemgastronomie mit weltweit standardisiertem Essen gibt es keine unangenehmen Überraschungen, die einem das Leben weiter erschweren könnten. Eltern und Kinder sind zufrieden mit Pommes und Co. Der unangefochtene Marktführer McDonalds wächst, allein 2008 haben die Deutschen 2,8 Milliarden Euro in den McDonalds-Filialen ausgegeben.
Sich bedienen lassen ist weniger angesagt. Die klassischen Gastronomen haben deutliche Einbußen. Auch die Kantinen bleiben leer. Das hängt damit zusammen, dass etwa Daimler & Co ihre Angestellten in Kurzarbeit schicken. Claus-Harald Güster von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten erzählt, dass Firmen, die für Automobilkonzerne kochen, selbst Kurzarbeit anmelden. Arbeitnehmer bleiben öfter zu Hause.
Dabei ändern sie ihre Gewohnheiten. Besonders gut verkaufen sich: Schokolade, Gummibärchen, Süßkram. Es ist wie bei Bridget Jones, der Hauptfigur in Helen Fieldings Roman "Schokolade zum Frühstück", die sagt: "Das Leben wird immer bitterer, ich brauche dringend Schokolade!" Letztes Jahr hat sich jeder Bundesbürger für 112 Euro 31 Kilo Süßwaren gegönnt. "Wir brauchen den Luxus im Kleinen", meint Konsumforscher Twardawa. Da darf es dann sogar mal die edle Bitterschokolade sein - und nicht das Allerbilligste von Aldi.
Bei der Hauptmahlzeit schenken sich viele indes nichts - sie greifen zum Hackfleisch statt zum Schweinefilet, berichtet Paul Michels von der Zentralen Markt- und Preisberichtstelle in Bonn. Das gilt allerdings nicht für alle Konsumenten. Gero Jentzsch vom Deutschen Fleischer-Verband meint, in den "innerstädtischen Toplagen" verkauften sich nach wie vor die "Edelteile" gut. Die Oberen speisen immer noch teuer. Die Gesellschaft zerfällt seit langem in zwei kulinarische Klassen - die Krise hilft noch mal nach.
Vor allem bei Familien mit mehreren Kindern, Alleinerziehenden, Arbeitnehmern mit befristeter Anstellung - "da regiert ausschließlich der Geldbeutel", erklärt der Nürnberger Konsumforscher Twardawa. Diese Gruppe hat selbst den Döner, den Imbiss zwischendurch, gestrichen. Bei jedem dritten Deutschen sei die finanzielle Lage so angespannt, dass er beim Einkaufen noch nach Sparpotenzialen suche. Und die findet man - bei Aldi und Co.
Ob das gesund ist? Die Warenprüfer der Zeitschrift Öko-Test erklären in ihrer Februarausgabe: "Die Qualität der dort angebotenen Lebensmittel ist nicht schlechter als in Super- und Verbrauchermärkten." Sie haben gut 100 Produkte unter die Lupe genommen, und sie fanden nicht mehr Schadstoffe als sonst in den Artikeln der Marken-Supermärkte. Ausreißer: Erdbeerjoghurts und Balsamicoessig schneiden bei allen Discountern allenfalls "befriedigend" ab. Besonders gut kamen Aldi-Nord und Lidl davon: Zwei Drittel der getesteten Produkte erreichten ein "gut" oder "sehr gut".
Ein uneingeschränkter Einkaufstipp ist das allerdings nicht. Die Tester meinen, jeder müsse selbst darüber nachdenken, warum Milch und Butter so günstig über das Kassierband gehen.
Die Discounter üben mit ihrer Größe und Einkaufsmacht einen enormen Druck aus, etwa auf Lieferanten. Niemand bleibt von dem neuen Preiskampf verschont. Der Schweizer Hersteller von Suppen, Schokoriegeln und Eis, Nestlé, hat diese Woche bereits erklärt, mit billigeren Produkten künftig noch mehr Umsatz machen zu wollen. Die Margen sind ohnehin schon eng im Lebensmittelhandel. Und weil die größte Kostenfaktor das Personal ist, streichen die Firmen hier gerne zusammen.
Der neue Billig-billig-Trend erhöht den Druck. Gewerkschafter prangern die Arbeitsbedingungen bei den Discountern - allen voran bei Lidl - schon lange an. Christine Meier von Ver.di: "Für das Personal wird es immer schwieriger, die eigenen Rechte einzufordern" - und etwa Betriebsräte zu gründen. Meier: "Sie müssen jetzt erst recht kämpfen." Magere Zeiten für die Angestellten. Fett werden in dieser Krise nur wenige: die Inhaber der Discounter.
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