Discounter-Arbeitsverhältnisse angeprangert: Unfaire Fair-Trade-Kette
Bei Contigo Fair Trade herrschen angeblich Arbeitsverhältnisse, die Gewerkschafter "eher an Schlecker und Lidl" erinnern. Jetzt klagen drei Verkäuferinnen gegen das Unternehmen.
Ingo Herbst ist ein Mensch, der gern nach vorne schaut. Vor 14 Jahren gab er deswegen seinen Job als Geschäftsführer bei der GEPA, dem größten deutschen Eine Welt-Importeur auf, um etwas ganz Neues zu starten. Herbst gründete die "Contigo Fair Trade GmbH". Einen "neuen Typ von Eine-Welt-Läden" wollte er aufbauen. "Schön und sonnig, mit attraktivem Sortiment, mindestens 50 Stunden pro Woche geöffnet, in gut frequentierter Lage", so stellte Herbst sich das vor. Es sollte der "Weltladen der Zukunft" werden.
Seine in erdfarbenem Alternativschick durchgestylten Contigo-Shops verhalten sich zu den traditionellen Weltläden der Lateinamerika-Soliszene wie ein Starbuck's am Potsdamer Platz in Berlin zu einer Hausbesetzerkneipe. Contigo ist auf Expansionskurs. Bislang gibt es elf Filialen in Deutschland, doch die Zahl der Läden wächst schnell. Und wenn der Hobbypilot Herbst über sein Unternehmen spricht, dann benutzt er dabei gern Wörter wie "Vision" und "Pionier".
Doch jetzt sieht er sich Vorwürfen ausgesetzt, seine Fair-Trade-Kette mit Beschäftigungsverhältnissen aufgebaut zu haben, die "eher an Lidl und Schlecker als an fairen Handel erinnern", wie es Ver.di-Sekretär Richard Schmid ausdrückt.
Wer ist Contigo?
Niederlassungen: 1995 startete die Contigo Fair Trade GmbH mit einem Laden in der Göttinger Marktpassage. Mittlerweile unterhält die Gruppe bundesweit 11 Filialen. Zwei Drittel davon sind Franchise-Niederlassungen, die übrigen unterstehen der Zentrale in Göttingen, die von den geschäftsführenden Gesellschaftern Ingo Herbst und Ralph Wüstefeld geleitet wird.
Umsatz: Laut den neuesten, vom Verband der Weltläden veröffentlichten Zahlen macht Contigo, zu Deutsch "Mit dir", rund 2,5 Millionen Euro Umsatz im Jahr. Die parallel zum Filialnetz aufgebaute Importorganisation beliefert mehr als 500 Weltläden.
Wer ist fair?
Kriterien: Der Verband der Weltläden prüft, ob Händler und Lieferanten im Fair-Trade-Bereich die "Konvention der Weltläden" einhalten. Diese verlangt Sozial- und Umweltverträglichkeit, Transparenz, demokratische Organisationsform, Informations- und Bildungsarbeit sowie Kontinuität in den Handelsbeziehungen.
Prüfung: Der Verband weist aber darauf hin, dass sein sogenannter ATO-TÜV (für "Alternative Trade Organizations") kein Zertifikat ist, sondern eine "nach innen in die Bewegung gerichtete Überprüfung auf der Basis von Selbstauskunft verbunden mit Plausibilitätskontrollen".
Ende August ging beim Arbeitsgericht Bremen eine Kündigungsschutzklage von drei Verkäuferinnen ein. Beklagter: die Contigo GmbH. Der Streit legt den Verdacht nahe, dass Contigo die Mindeststandards des Arbeitsrechts nur als unverbindliche Empfehlung betrachtet. Und auch sonst stand es mit dem Betriebsklima nicht zum Besten.
Viktoria F.*, eine ehemalige Contigo-Filialleiterin, hat keine guten Erinnerungen an das Unternehmen. Als kurz nach Jobantritt die Umsatzzahlen nicht gestimmt haben, da "gab es ein unangekündigtes Kritikgespräch" mit Vertretern des Managements. "Da wurde ich wirklich in die Zange genommen", sagt F. über das "sehr aggressiv geführte" Gespräch. Als die Zahlen danach auch nicht besser wurden, habe man ihr gekündigt - "ohne Angabe von Gründen".
Den Verkauf erledigen bei Contigo fast ausschließlich geringfügig Beschäftigte oder Werkstudenten. "Die gesetzlich vorgeschriebene Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder Urlaub - das gab es für uns nie," berichtet Kerstin G.*, eine langjährige Contigo-Verkäuferin. "Wenn ich einen gelben Schein eingereicht hätte, dann hätte ich sofort gehen können. Es war einfach klar, dass man rausfliegt, wenn man das einfordert." Sämtliche Krankheitsfälle seien "immer nur mit freien Tagen geregelt" worden. "Da wurde dann getauscht und später mehr gearbeitet", sagt G. Ingo Herbst bestreitet dies: "Bei uns gilt der Tarifvertrag des Einzelhandels und natürlich auch sämtliche Bestimmungen des Arbeitsrechts."
Er spricht vielmehr von einem besonders fortschrittlichen Betriebsmodell: Man "überlasse es den Teams, es entweder dabei zu belassen und dann alle Features zu nutzen oder aber das im Team zu klären". Die "Features nutzen", das soll heißen: die gesetzlichen Ansprüche auf Urlaub und Lohnfortzahlung wahrzunehmen. Oder eben die "Klärung im Team": "Wenn ich krank bin, werde ich vertreten und die Kollegin gibt mir dann einen Tag von ihrem Kontingent ab, wenn ich wieder gesund bin."
Herbst sagt, sein Lohnsystem zeichne aus, dass "wir die Mitarbeiter zu Mitunternehmern machen und sie mit in die Chance nehmen wollen". Dafür gebe es einen "Unternehmerlohn" von 30 Prozent Aufschlag auf den Stundenlohn. Hinzu komme eine umsatzabhängige Ergebnisbeteiligung - "alles freiwillige Leistungen von uns". Diese hätten jedoch "nichts mit der teaminternen Regelung von Urlaubs- oder Krankenvertretung" zu tun, es handele sich auch nicht um eine Aushebelung von Arbeitnehmerrechten. Ihn habe die Frage umgetrieben, wie er den "Mitarbeitern mehr Einkommen verschaffen" könne. Die Lösung: "Indem man Krankheit im Team auffängt und dann auf Lohnfortzahlung verzichten kann." Dies gelte jedoch "nur für kurzfristige Verhinderung durch Erkrankungen". So habe er "den Gegensatz von Kapital und Arbeit aufheben" wollen. Die Beschäftigten "nehmen einen kleinen Teil des Risikos auf sich, in dem sie sich ihre Erholung nicht ausbezahlen lassen, weil sie am Ergebnis interessiert sind". Denn es sei ja klar: "Wenn die entscheiden: wir machen Urlaub, dann gestalten die ihr eigenes Ergebnis negativ."
Herbst räumt ein, dass sein "revolutionäres Mitarbeitermodell" in der Bundesrepublik "eigentlich nicht vorgesehen" ist. Deshalb sei es auch "nur im Konsens" realisiert worden. "Wir haben das seit 15 Jahren so gemacht. Wir waren richtige Pioniere. Schriftlich niedergelegt hat er seine Zusatzleistungen aber nicht, "wegen des Freiwilligkeitsvorbehalts". Ein Rechtsanspruch auf die Zusatzzahlungen bestand also nie. Doch die Teams hätten sich stets im Konsens für diese Variante entschieden, behauptet Herbst.
Mehrere Verkäuferinnen, darunter G., zeichnen ein anderes Bild. Von einem "Aufschlag" könne keine Rede sein. Auch mit der Umsatzbeteiligung sei es nicht weit her: "Hin und wieder gab es mal 30 Euro oder so, es ist aber überhaupt nicht klar, nach welchen Kriterien das ausgezahlt wurde." Als eine Kollegin die Arbeitsbedingungen "nur ankritisiert" habe, "hat sie einen sehr rüden Verweis bekommen". Die Reaktion sei "sehr, sehr scharf" gewesen. Herbst habe gesagt, er lasse sich "hier nicht vorwerfen, dass das unfair ist". Über den Konsens "sollte nicht gesprochen werden, Kritik war nicht erwünscht", sagt G. Herbst entgegnet, es gebe "komplette Transparenz aller Betriebsabläufe", die "regelmäßig mit allen Mitarbeitern besprochen werden".
Für den bei Ver.di für den Bereich Handel zuständigen Sekretär Richard Schmid ist die informelle Übereinkunft bei Contigo "dummes Zeug". "Das ändert nichts an den Ansprüchen von Arbeitnehmern. Keine Lohnfortzahlung, kein Urlaub - das ist ungesetzlich", sagt Schmid. "Wer seine Mitarbeiter vor Ort nicht anständig absichert, der kratzt an der Glaubwürdigkeit des Fair-Trade-Konzepts."
Der Streit entbrannte vollends, als Herbst Ende vergangenen Jahres in den defizitären Bremer Filialen die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse abschaffen wollte. Stattdessen sollte es Arbeitsverträge für WerkstudentInnen geben, mit dem Einzelhandels-Tariflohn von 7,06 Euro pro Stunde. Es regte sich Widerspruch, denn auch weiterhin sollten die Verkäuferinnen auf Urlaub und Lohnfortzahlung verzichten. Nachdem dies bei einer Betriebsversammlung zur Sprache gebracht wurde, schrieb Herbst eine Rundmail an seine Angestellten, die ihn "sehr enttäuscht" hätten. Wie die "Mehrzahl der deutschen Arbeitnehmer" seien sie "in erster Linie solidarisch mit ihren eigenen Portemonnaies und ihrer eigenen ,sozialen Sicherheit'". Die "Kollegin W." habe "allen Ernstes geäußert, dass sie lieber die Lohnfortzahlung und Urlaubszeiten haben möchte". Für Herbst ein Sakrileg: "Ja, hat denn die Kollegin überhaupt nichts verstanden?", schrieb er. "Jeder bezahlte Krankheitstag, Urlaubstag drückt auf das Ergebnis." Dies sei "ein Fall für die gelb-rote Karte". Hier werde "ein 15-jähriger Konsens verlassen". Es sei das "zentrale Ziel, benachteiligte Kleinproduzenten in Übersee zu unterstützen". Es sei "nicht das vorrangige Ziel, für Mitarbeiter ein kuscheliges Nest zu schaffen, mit optimaler Bezahlung und allen sozialen Sicherheiten". In den Bremer Läden sei "deshalb das Personal zu überprüfen".
Als Erstes verließen die beiden Filialleiterinnen Contigo. "Das Verhältnis war völlig hinüber", berichtet G.
Im August erhielten die drei Verkäuferinnen, die sich ebenfalls nicht mit den neuen Verträgen einverstanden gezeigt hatten, die Kündigung. Ihnen habe einfach der nötige "Contigo-Spirit" gefehlt, sagt Herbst.
"Hier wurde eine moralische Drohkulisse aufgebaut, um legitime Forderungen zurückzuweisen", sagt der Gewerkschaftssekretär Schmid. Sowohl der Weltladen-Dachverband als auch die World Fair Trade Organization haben Contigo als Fairhandelsorganisation anerkannt. Im jüngsten Bericht des so genannten ATO-TÜV, der Prüfinstanz der deutschen Weltläden, bekam Contigo gute Noten. Die Produzenten im Süden würden "politisch unterstützt", so die Prüfer. Insgesamt entspreche Contigo "in allen Kriterien der ,Konvention der Weltläden'". Klaus Wöldecke, Geschäftsführer des Weltladen-Dachverbands in Mainz, findet den Vorgang deshalb "bedenklich und nicht hinnehmbar, wenn sich die Vorwürfe bestätigen sollten". Man habe "kein Interesse an einer Vorverurteilung", doch bedeute ein "alternatives Wirtschaftsmodell", dass es "auch hier fair zugeht".
Am Freitag ist der Gütetermin vor dem Arbeitsgericht angesetzt. Herbst ist von der Auseinandersetzung überrascht: "Das ist bei uns extrem selten. Das war das erste Mal in 15 Jahren."
*Die Namen wurden geändert und sind der Redaktion bekannt.
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