Dilemmata im Fußball: Weiß-blauer Kulturkampf

Wer und was ist dieser Verein? Ein nostalgischer Sommer mit 1860 München und ein Buch über Finanzinvestoren mit niederschmetternder Analyse.

Eine feine Gesellschaft: Yahya Ismaik (Mitte) und seine Münchner Spezln.

Eine feine Gesellschaft: Yahya Ismaik (Mitte) und seine Münchner Spezln

Nun hat es sich so er­geben, dass ich in diesem Sommer sehr viel Zeit in München verbracht habe, der Stadt, in der ich aufgewachsen bin. Schnell bin ich in alte Gewohnheiten zurückgefallen, habe meine Freizeit im Englischen Garten zu Füßen des Monopteros verbracht oder habe nachgesehen, ob am Chinesischen Turm vielleicht jemand sitzt, den ich kenne, was aber nie der Fall war. Und wenn Sechzig gespielt hat, klar, dann bin ich ins Stadion gegangen, ins Sechzger, so wie früher. Und so wie früher war ich heiser, als ich das Stadion verlassen habe.

Aber irgendetwas war anders geworden. Seinerzeit hat es noch keine Ultras gegeben und keinen Scheich. „Wir sind der Verein!“, schallte es jetzt von den Rängen, und es war klar, dass die, die das gesungen haben, sich selbst meinen und keine Gemeinschaft aus Mannschaft, Fans und der TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA, deren Mehrheitseigner der jordanische Geschäftsmann Hasan Ismaik (aka Scheich) ist.

Den Mann, der den Klub in eine Abhängigkeit gebracht hat, die von etlichen Fans als Freiheitsberaubung angesehen wird, wollen viele loshaben. Andere erhoffen sich von ihm immer noch eine Art Wiedererweckung von den Untoten. Und wenn aus der Westkurve „Scheiß auf den Scheich, scheiß auf sein Geld“ geträllert wird, pfeifen andere im Stadion missbilligend. In der kleinen Welt der 3. Liga scheint es einen Verein zu zerreißen zwischen den Ansprüchen des modernen Fußballs und einer Fußballromantik, bei der das Bier nach dem Spiel wichtiger ist als die Ligazugehörigkeit.

„Um jeden Preis“

Was dieser moderne Fußball genau ist, das hat der Fußballpublizist Christoph Biermann in seinem neuen Buch mal genauer zu beschreiben versucht. „Um jeden Preis“, heißt es und ist eine niederschmetternde Analyse der Fußballindustrie. Im Jahr 1992 habe alles angefangen, meint Biermann, die Champions League ist gegründet worden, der Bundesligafußball ist ins Privatfernsehen gewandert und die Premier League in England gegründet worden. Immer mehr Geld wurde in den Fußball gepumpt, die Klubs wurden immer mehr wert, Spieler und deren Berater immer reicher, aber einen Klub zu betreiben ist dennoch nie zu einem wirklich nachhaltigen Geschäft geworden.

Konzerne und Staaten kauften sich ins Spiel ein und machten ein paar Klubs groß und eh schon große Klubs noch größer. Am Ende war ein Grundgesetz des Sports außer Kraft gesetzt. Jenes nämlich, nachdem er davon lebt, dass man vorher nicht weiß, wer am Ende gewinnt. Und dennoch will der Fußballboom nicht enden, Geld fließt in Strömen, und Klubs, die noch nicht dazugehören, tun alles, verkaufen zur Not ihre Felle an Saudi-Arabien, um am großen „Rattenrennen“, wie es Biermann nennt, teilnehmen zu können.

In Deutschland ist es nicht so einfach, das Ruder in einem Klub an sich zu reißen. Der Mutterverein hat immer das Sagen, so will es die 50+1-Regel, egal wie viel Anteile ein Investor an der Fußballabteilung gekauft hat. Hier liegt das Wesen des Kulturkampfs auf den Tribünen bei 1860.

Mir hat es übrigens ganz gut gefallen im Stadion an der Grünwalder Straße, mir gefällt auch der aktuelle Tabellenplatz – klar, wir sind Erster. Ich würde mich auch über einen Aufstieg freuen, und wenn es wieder mal ganz nach oben gehen sollte, würde ich auch darüber jubeln. Es sieht fast so aus, als wäre der Kulturkampf zwischen Fußballtradition und -moderne auch in mir selbst noch lange nicht entschieden.

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