Digitalgipfel der Bundesregierung: Der Gipfel der Werbung
Die Digitalisierung kommt nur schleppend voran. Die Regierungsvertreter sollten auf ihrem Gipfel gut zuhören. Und zwar nicht nur der Industrielobby.
W as Anfang dieser Woche in Jena passiert, ist gleichermaßen Werbeveranstaltung wie Selbstvergewisserung. Die Bundesregierung will das Signal senden, dass Digitalisierung toll ist und sie sich ganz großartig darum kümmert. Deshalb lässt sie bei ihrem Digitalgipfel in Jena zwei Tage lang allerlei Hochkarätiges aus Politik und Branche auf Bühnen versammeln und will gleichzeitig mit öffentlichen zugänglichen Veranstaltungen die Menschen vor Ort für die Digitalisierung begeistern.
Sogar aus der Kritik des vergangenen Jahres hat sie gelernt – endlich sind auch Akteur:innen aus der Zivilgesellschaft auf den Bühnen vertreten, wenn auch eher in übersichtlicher Zahl. Präsenter sind die Vertreter:innen der Industrie – so viel zum Thema Werbung.
Doch die Veranstaltung sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zwischenbilanz der Ampel in Sachen Digitalpolitik eher so mittelprächtig ist. Das ist schon Tradition, wenn auch keine gute: Auch die Vorgängerregierungen taten sich schwer mit dem Thema. Doch die Ampel hatte Besserung angekündigt und war so ambitioniert scheinend gestartet, dass etwas Hoffnung bestand.
Und die Praxis? Die Digitalisierung der Verwaltung, die Bürger:innen das Leben erleichtern soll, kommt weiter nur schleppend voran. Das Ziel, alle Verwaltungsleistungen bis Ende 2022 online anzubieten, ist bereits gerissen. Bei den Schulen ist die Situation derart desaströs, dass einschlägige Ambitionen ziemlich weit weg wirken – und nein, Tablets im Unterricht sind noch kein Digitalisierungskonzept.
Bei wichtigen Gesetzgebungsverfahren, die die Rechte der Bürger:innen betreffen, wie der Chatkontrolle auf EU-Ebene, ist die Koalition gespalten. Funklöcher gibt es zu viele, Breitbandanschlüsse dagegen zu wenige, und bei alldem wird vergessen, dass mehr Digitalisierung nicht zu weniger Verbraucherschutz führen darf: zum Beispiel, wenn Verkehrsminister Wissing auf ein digitales 49-Euro-Ticket besteht. Hoffentlich hören also die Regierungsvertreter:innen auf ihrem eigenen Gipfel gut zu. Und zwar nicht nur der Industrielobby.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen