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Digitale Adaptionen"Die 39 Stufen" im virtuellen Raum

Weltliteratur auf der Spielekonsole – kann so etwas gutgehen? Der schottische TV-Produzent Simon Meek glaubt an den Erfolg der "digitalen Adaptionen".

Literatur als Videospiel: Szene aus der digitalen Adaption von "The 39 Steps" von John Buchan. Bild: TernTV

BERLIN taz | Wer die Worte "Videospiele" und "Literatur" bei Google eingibt, der wird zumeist auf Literatur zum Thema Videospiele verwiesen. Keinesfalls aber auf Videospiele, die auf Romanen basieren. Sind die beiden Domänen Erzfeinde wie Hund und Katze?

Simon Meek als Executive Producer für digitale Adaptionen bei der schottischen Fernsehproduktionsgesellschaft Tern TV zuständig, glaubt das nicht: "Was wir mit unseren digitalen Adaptionen versuchen", sagt der Schotte, "ist Literatur selbst in eine Erfahrung zu verwandeln."

Literatur als Erfahrung? Passiert das nicht schon in Theater, Film und Fernsehen? Meek: "Nehmen wir an, wir kennen eine Story in ihrer Buchform und vielleicht noch als Film. Aber das sind ja bereits Interpretationen eines Autors oder Regisseurs. Wir fragten uns: Wie könnte diese Geschichte in der Welt der Videospiele aussehen? Die Geschichte in ihrer Reinform sozusagen."

Die Reinform eines Romans als Videospiel? Simon spricht nicht gerne von Videospielen, wenn es um seine Produkte geht, sondern von digitalen Adaptionen – ein Begriff, der seine elektronischen Romanversionen tatsächlich treffender umschreibt. Der Hauptunterschied zum Videospiel ist, dass der Gamer selbst keinen Charakter annimmt, sondern sich Schritt für Schritt durch digitale "Tableaus" klickt und so die Handlung nachvollzieht.

Wie muss man sich das vorstellen? "Wir betrachten uns alle visuellen Aspekte eines Buchs, alle Szenen und Schauplätze", sagt Meek. "Dann finden wir heraus, was uns der Autor über Handlungsort und -jahr mitteilt und beziehen das ebenfalls mit ein. Mit diesen Informationen und etwas Recherche fertigen wir Schritt für Schritt ein elektronisches Gemälde der Szene an."

Gibt es auch Ton? "Ja, nach dem visuellen widmen wir uns dem auditiven Setting eines Buchs, zum Beispiel ob der Wind im Hintergrund heult oder die Turmuhr schlägt und so weiter. Der Roman wird praktisch in eine Multimediaplattform verwandelt."

Die erste digitale Adaption aus dem Hause Tern TV ist John Buchans Kriminalroman "Die 39 Stufen", verfilmt von Alfred Hitchcock im Jahr 1935. Wieso fiel die Wahl gerade auf dieses Buch? "Weil es ein Spionage-Thriller mit einer packenden Handlung ist", erklärt Simon. Dem Spieler stehen 250 digitale "Tableaus" zur Verfügung von denen zehn voll erkundet werden können.

Meek: "Der Gamer kann die Handlung nicht verändern, aber er kann sich auf verschiedene Arten und Weisen durch Textpassagen navigieren – er kann seinen Instinkten folgen und Aspekten der Geschichte nachgehen, die ihn besonders interessieren."

Nutzer werden zu Forschern

Da er nicht weiter ins Detail gehen möchte, was sein aktuelles Produkt betrifft, erklärt Meek die Funktionsweise seiner Videospiele am Beispiel einer Szene aus dem nächsten Projekt, einer Adaption von Emily Brontës Literaturklassiker "Sturmhöhen". In einer Szene, die der Nutzer voll erforschen kann, befindet sich der Gamer zum Beispiel im Zimmer der Protagonistin Cathy Linton.

"An diesem Punkt kann der Spieler alles sehen was im Buch beschrieben wird", erklärt Meek, "ergänzt durch alle möglichen zeitgenössischen Einrichtungsgegenstände, die zu einem Raum wie diesem passen." Dann werden Passagen aus dem Originaltext eingeblendet unterlegt mit der passenden Geräuschkulisse in diesem Fall ein Heulen des Windes. Außerdem kann der Nutzer auf dem Boden liegende Bücher aufheben, um so weitere Textpassagen kennenzulernen.

Im Prinzip wollen Simon und sein Team für die Videospiel-Generation erreichen, was die Öffentlich-Rechtlichen für die Rundfunk- und Fernseh-Generation taten: einem Publikum, das nicht unbedingt automatisch zum Buch greift, anspruchsvolle Weltliteratur nahe zu bringen.

Auch Teenagern? "Das Problem mit Teenagern ist, dass sie meist noch nicht über ein eigenes Einkommen verfügen", sagt Meek, "und man also über die Eltern gehen muss. Insofern sind sie für uns nicht unbedingt eine Zielgruppe. Aber was nicht ist kann ja noch werden." Was die digitalen Adaptionen betrifft, dürften aber weder Preis noch Alter das größe Hindernis für einen reißenden Absatz sein, sondern Interesse.

Lesen Hardcore-Zocker Emily Brontë?

Denn wer kann sich schon einen Hardcore-Zocker vorstellen, der sich vier bis sechs Stunden lang durch eine digitale Adaption von Emily Brontës "Sturmhöhen" klickt? "Wenn man unsere Adaptionen direkt mit Videospielen vergleicht", räumt Meek ein, "dann könnte dem Gamer langweilig werden, das stimmt. Aber wenn man sich unser Produkt als neue und andere Erfahrung vorstellt, dann sicher nicht. Ehrlich gesagt tun Bücher ja auch nichts anderes als eine Geschichte zu erzählen, um so die Aufmerksamkeit des Lesers zu erhaschen."

Wenn dem Leser langweilig würde, so Meek weiter, läge das meist an der Story. Er sähe sehe keinen Grund, warum eine spannende Handlung auch Hardcore-Gamer nicht bei der Stange halten könne, eine interessante Geschichte durch eine Gaming-Plattform kennenzulernen. Meek: "Außerdem wollen wir mit dem Feedback der Käufer unseres ersten Produkts weitere Titel verbessern – falls dieses Problem auftauchen sollte."

Hat Tern TVs ehrgeiziges Vorhaben nicht ein wenig Ähnlichkeit mit elektronischen Büchern? "Auf keinen Fall", weist der Schotte diesen Gedanken energisch zurück, "E-Books basieren ja immer noch auf dem gedruckten Buch und da schmökert der Leser Worte auf weißen Seiten, die umgeblättert werden müssen. Wir machen doch etwas ganz anderes."

Verhandlungen bislang ohne Erfolg

"Die 39 Stufen" soll 2012 auf den britischen Inseln als PC- und Mac-Version im Vertrieb eines Videospielherstellers in den Handel kommen (Meek will den Namen des Vertreibers nicht preisgeben). Im Laufe des nächsten Jahres soll das Spiel auch in anderen Sprachen – darunter Deutsch – angeboten werden.

Simon berichtet außerdem, dass er bereits mit diversen internationalen Gaming-Giganten wie Sony und Microsoft als zukünftige Vertreiber verhandele – bislang allerdings ohne Erfolg. Die Preis für die erste digitale Adaption soll zwischen 17 und 23 Euro liegen.

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4 Kommentare

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  • ML
    Martin Lorber

    "Digitale Adaptionen" oder "Verspielte Romane": hier gibt es ein paar schöne Beispiele dafür: http://spielkultur.ea.de/kategorien/kultur/verspielte-literatur-vom-buch-zum-videogame-vom-autor-zum-schopfer-von-spielwelten.

    Martin Lorber (Autor von www.spielkultur.ea.de)

  • H
    Harleyquin

    Brilliante Idee, toller Geschäftssinn, hervorragend recherchiert.

     

    1) Virtuelle Fiktion? Nee, total neu, gabs noch nie, wirklich nicht. Auch insbesondere nicht 1975 von Will Crowther. Und schonmal gar nicht kommerziell wie beispielsweise von Infocom. Siehe hierzu http://en.wikipedia.org/wiki/Interactive_fiction oder auch gerne www.mobygames.com für weitere geschätzte 3.000 Einträge.

     

    2) Teenager haben kein eigenes Einkommen? Puh, das ist eine weise Erkenntnis, deshalb verkauft sich Merchandising zu Twilight und Co. ja auch überhaupt nicht, reinste Ladenhüter. Siehe hierzu http://www.bwl24.net/blog/2010/03/06/masgeschneidertes-marketing-fur-jugendliche/ oder auch http://www.buytwilightstuff.com/

     

    Hervorragend recherchiert und dabei diese völlig unbedeutenden Punkte auch sauber umschifft. Gratulation! Das.. das war doch das Ziel, oder?

     

    Wie gut dass man Hardcore Gamer (schöne Verwendung der Worte, ist fast schon richtig) wohl kaum dazu bekommen wird Weltliteratur zu lesen... ich sollte spontan anfangen meine Shakespeare Sammlung zu verbrennen, vielleicht werd ich noch etwas Goethe und Schiller dazuwerfen..

  • E
    Elemmakil

    Ähm... also ein Visual Novel?

    http://en.wikipedia.org/wiki/Visual_novel

     

    Das ist nun nichts neues - in Taiwan und Japan sieht man die in jedem Spieleladen. Das bereits existierende Bücher in dem Medium neu aufgelegt werden habe ich noch nicht gehört, aber ist auch nicht verwunderlich.

     

    Also Liebe Taz-Autoren: googlen will gelernt sein ^^

  • T
    Toby

    Literatur IST bereits Erfahrung.

    Daß ein Programmierer das nicht versteht, erfüllt alle Erwartungen. Daß ein Journalist lediglich glaubt, "Literatur als Erfahrung? Passiert das nicht schon in Theater, Film und Fernsehen?" ist allerdings schockierend.

    Beiden sei gesagt, auch wenn sie es nicht verstehen: natürlich kann man Literatur nicht in dieser Form "adaptieren". Und natürlich wird es trotzdem im großen Stil geschehen.

    Man kann Literatur auch nicht "verfilmen" und dennoch ist dies bereits fester Bestandteil des wirtschaftlichen verwartungszyklusses von Büchern.

    Auf diese Weise bedient der Unverstand den Unverstand, dazwischen wird allerlei an Geld umgesetzt und was auf der Strecke bleibt, wird niemand merken.

    Bücherverbrennungen waren gestern. Heute wird adaptiert. Das wird nicht von der gleichen Absicht getragen, ist aber ungleich wirkungsvoller und dabei noch ertragreich.

    Ich übertreibe?

    Das wollen wir mal testen.

    Harry Potter!

    Na? Wer hat jetzt nicht den Schauspieler aus der Verfilmung vor Augen?

    Dabei ist es um die Bücher von Rowling nicht mal so schade. Die wurden schon als Drehbücher geschrieben. Aber ebenso funktioniert es eben auch mit allen anderen Büchern.

    Die Bilder der Filme ersetzen die wahre Erfahrung des Lesers im Dialog mit dem Text. Und oft auch die Handlung.

    Bücher werden nicht verfilmt. Sie werden von Filmen gefressen. Und verwandte Medien tun dies ebenso oder werden es tun. Sie können nicht anders.