Dietmar Bartsch über die Wahl in MV: „Wir sind nicht mehr erste Adresse“
Der Fraktionschef der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch, erklärt, warum seine Partei Unterstützer verloren hat und wie sie wiedergewonnen werden sollen.
taz: Herr Bartsch, Die Linke hat in Mecklenburg-Vorpommern im Wahlkampf einen Showtruck und Emotionen aufgefahren und ist dennoch die große Verliererin. Wieso hat alles nichts genützt?
Dietmar Bartsch: Das Ergebnis ist sehr unbefriedigend. Es ist offensichtlich so, dass wir als Teil „der da oben“ angesehen werden, um das mit der Sprache mancher Menschen zu sagen, denen ich im Wahlkampf begegnet bin. Für sie sind wir ein Teil des Parteienkartells in Berlin. Uns trauen viele eine andere, an ihren Interessen orientierte Politik nicht zu, so ungerecht wir das auch empfinden.
Hat es auch mit dem Spitzenkandidaten zu tun? Helmut Holter war immer Teil des Establishments von der SED-Bezirksleitung bis zur rot-roten Koalition. Wäre es nicht langsam Zeit für einen Wechsel an der Spitze?
Die Partei hat Helmut Holter mit überwältigender Mehrheit gewählt, sie hat hinter ihm gestanden, und er hat einen engagierten Wahlkampf geführt. Wir werden in den nächsten Tagen in den Gremien entscheiden, wie es politisch und personell weitergeht.
Helmut Holter bleibt Fraktionschef?
Das ist eine Entscheidung, die zuerst bei Helmut Holter liegt und dann in der Fraktion in Mecklenburg-Vorpommern.
Dietmar Bartsch, Jahrgang 1958, ist gebürtiger Stralsunder. Er war Mitglied der SED bevor diese zur PDS und schließlich zur Linken wurde. Er hatte unterschiedliche Parteiämter inne, unter anderem leitete er 2002 und 2009 den Bundestagswahlkampf seiner Partei. Seit 2015 hat er zusammen mit Sahra Wagenknecht den Fraktionsvorsitz der Linken im Bundestag inne.
Sie sehen also keinen Anlass, dass er zurücktreten sollte?
Nein. Ich werde Helmut Holter nicht zum Rücktritt auffordern.
Das war das schlechteste Ergebnis, das die Linke jemals erzielt hat in Mecklenburg-Vorpommern. Woran liegt es, wenn nicht am Spitzenpersonal?
Wir haben offensichtlich auf Landesebene nicht deutlich machen können, dass wir die Alternative zur Großen Koalition in Schwerin und im Bund sind. Es ist unsere Aufgabe, dass wir mehr Druck machen müssen für unsere Themen: gute Arbeit, Kampf gegen Kinderarmut, bessere Pflege. Es ist aktuell schwierig gegen das gesellschaftlich emotionale Klima, gegen das innerlich Aufgeheizte mit Sachargumenten anzukommen.
Sie meinen die AfD, gegen die die Linke bisher kein Rezept gefunden hat.
Die AfD ist eine Chaostruppe, die dort, wo sie bereits gewählt wurde, nichts auf die Reihe bekommt und dennoch weiter gewählt wird. Häufig, weil die Menschen Denkzettel verteilen wollen und Angst haben, bei der Verteilung von sozialen Leistungen weniger zu bekommen. Die Alternativen, die wir anbieten, werden zu wenig wahrgenommen, das muss ich selbstkritisch anmerken. Wir müssen offensichtlich über andere, emotionalisierte Methoden nachdenken. Unsere Kritik muss zugespitzter und der Widerstand gegen ungerechte Verteilung und Sozialabbau kenntlicher werden.
Den Status als Protestpartei hat die Linke aber verloren.
Offensichtlich sind wir nicht mehr erste Adresse für Protest. Unsere Aufgabe bleibt es, die Politik von Angela Merkel und der Großen Koalition scharf und substanziell zu kritisieren.
Sich an der Großen Koalition abzuarbeiten ist das eine – wie muss sich die Linke im Innern verändern?
Die Partei steht vor einer zweiten Erneuerung. Die Digitalisierung, die Globalisierung erfordern eine neue inhaltliche Positionierung. Aber auch die Art der politischen Auseinandersetzung muss eine andere werden.
In den Weiten Vorpommerns sah man überall AfD-Plakate, die Linke war fast gar nicht präsent. Wie will man da mehr Druck machen, wenn die Strukturen offenbar nicht vorhanden sind?
Wir sind in Mecklenburg-Vorpommern die Partei mit den zweitmeisten Mitgliedern, und dennoch sind es zu wenige. Da ist nicht nur die Landespartei, sondern auch die Bundespartei gefragt. Aber immerhin: bei der Oberbürgermeister-Wahl in Schwerin ist unsere Kandidatin am Sonntag mit fast 32 Prozent gewählt worden und geht als Favoritin in die Stichwahl. Das war mit Sicherheit keine Protestwahl, sondern sie ist als Macherin wahrgenommen worden. Wir müssen die Trias aus Widerstand, Gestaltungsoptionen und dem Willen zu grundsätzlicher gesellschaftlicher Veränderung wieder mehr zum Leben erwecken.
Wenn sich die Linke wieder stärker als Protestpartei profilieren will, ist es da nicht falsch, jetzt schon Koalitionssignale an die mecklenburg-vorpommersche SPD auszusenden.
Das macht niemand, das wäre auch falsch. Der Ball liegt jetzt bei der SPD. Nach dieser Niederlage sofort über Koalitionen zu schwadronieren, hielte ich für falsch.
Wirft das Wahlergebnis einen Schatten auf die Berlin-Wahl in knapp zwei Wochen?
Nein. Wir werden in Berlin gewinnen. Ich bin sicher, dass wir am 18. September deutlich zulegen können.
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