: „Die zu bleiben, die ich war“
Von den Vorwürfen ist sie entlastet. Erleichtert wirkt sie nicht. Zum ersten Mal schildert Rita Süssmuth, welche Spuren die Flugdienst-Affäre bei ihr und in ihrem Amt als Bundestagspräsidentin hinterlassen hat ■ Von Bettina Gaus
Zehn Pfund hat die Präsidentin des Deutschen Bundestages in den letzten Wochen abgenommen. Am vergangenen Donnerstag wurde sie vom Ältestenrat des Parlaments und ihrem Stellvertreter Hans-Ulrich Klose (SPD) eindeutig und einstimmig von dem Vorwurf entlastet, Flugzeuge der Bundeswehr für private Zwecke mißbraucht zu haben. Aber auch am Tag danach ist bei Rita Süssmuth von Erleichterung nichts zu spüren. Sie ist blaß und angespannt. Bei einem anderen Gespräch mit der taz vor wenigen Monaten verblüffte sie durch ihre Fähigkeit, Bandwurmsätze mit vielen Einschüben ohne Stocken grammatikalisch korrekt zu Ende zu bringen. Beim Sprechen zu diesem Thema macht sie lange Pausen. Angefangene Sätze bleiben in der Luft hängen.
Rita Süssmuth will sich erklären. Aber eigentlich möchte sie nicht sprechen. „Ich werde ziemlich lange brauchen, um das zu verarbeiten. Wie's in mir aussieht, dazu möchte ich mich nicht äußern.“
Sie tut es dann doch. An „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ von Böll habe sie in den letzten Wochen oft gedacht, an die Geschichte einer Frau, deren Leben durch eine Medienkampagne zerstört wird. Aber das will sie eigentlich nicht gedruckt sehen. „Ehre“ sei auch so ein Begriff, mit dem man leicht mißverstanden werde. Das sei ein ganz schwieriges Wort. „Erst wenn sie einer verloren hat, kann er ermessen, was das heißt.“
Öffentliche Stellungnahmen von Politikern aller Parteien erwecken im allgemeinen den Eindruck, an ihnen liefen selbst gezielte persönliche Vorwürfe ab wie Wasser. Die Realität sieht anders aus. Niemand bleibt von wochenlangen Angriffen, die die eigene Integrität in Frage stellen, unberührt. Die Wirkung, die derlei Beschuldigungen auslösen, läßt sich aber nicht immer auf einen einfachen Nenner bringen: „Es gibt beides: tiefe Trauer und gestärkten Kampfesmut“, sagt Rita Süssmuth. „Solche bedrückenden Erfahrungen sind nicht nur lähmend, sondern daraus entstehen neue Kräfte, gegenzuhalten und sich weiterzuentwickeln.“
Die CDU-Politikerin ist ein Mensch, der auf Form und Regeln Wert legt. Den Respekt vor der Würde des Amtes will sie seit Jahren als Ausdruck des Respekts vor der Würde der Demokratie verstanden wissen. Könnte es sein, daß da jemand ganz genau gewußt hat, wo er hinzielen muß, um diese Politikerin ins Mark zu treffen? Für sie liegt die Affäre noch längst nicht bei den Akten: „Da wurde weit mehr beschädigt als meine Person. Da wurde mit meinem Amt umgegangen, als sei es – nichts.“ Winzige Pause vor dem letzten Wort. Ganz kleine wegwerfende Bewegung mit der linken Hand. Wenn Rita Süssmuth mit dem ganzen Arm weit ausholt, ist sie entspannt. Während dieses Gesprächs bewegt sie sich kaum.
Affären machen ziemlich viel Spaß, jedenfalls denen, die nicht in sie verwickelt sind. Sie sind die Würze der Innenpolitik. Das winzige Bonner Regierungsviertel gleicht einem Großkonzern mit vielen Abteilungen. Und wie in jeder Firma blüht der Klatsch. Affären befriedigen auch das Bedürfnis danach. Wer jemand mit persönlichen Angriffen zu Fall bringen will, kann sich darauf verlassen, offene Ohren zu finden.
Rita Süssmuth wurde in der Vergangenheit immer wieder leicht spöttisch als „Hüterin der Moral“ bezeichnet. Es hat in Bonn viele amüsiert, daß gerade sie mit Vorwürfen am Pranger stand, die auf ihre persönliche Integrität zielten. Bei genüßlichen Diskussionen zum Thema wurde oft geistvoll gewitzelt. Kaum jemand bezweifelte allerdings, daß die Affäre als absichtsvolle Kampagne gegen die CDU-Politikerin gesteuert war.
An einen Zufall glaubt auch Rita Süssmuth selbst nicht. „Das war eine Kampagne.“ Wer sie mit welchem Interesse angezettelt hat, darüber möchte sie nun wirklich nicht öffentlich spekulieren. Das sei Lesen im Kaffeesatz. „Da endet es.“
Schade. Denn ein bißchen mehr als Lesen im Kaffeesatz kommt beim Nachdenken über die Begleitumstände der Angelegenheit schon heraus. Allzu viele Umstände deuten auf einen strategisch gut durchdachten Masterplan hin. Es hätte für Süssmuth-Gegner kaum einen günstigeren Zeitpunkt für die Veröffentlichung der Vorwürfe geben können. Der erste Artikel in dem Zusammenhang stand am 15. Dezember in der Bild am Sonntag. Einen Tag später bat Rita Süssmuth ihren Stellvertreter Klose, zusammen mit der Bundestagsverwaltung einen Bericht zu erstellen und dem Ältestenrat vorzulegen. Solange der nicht fertig war, wollte sie sich nicht mehr mit Interviews zur Wehr setzen: „Es wäre falsch gewesen, wenn ich früher als das parlamentarische Gremium öffentlich Stellung genommen hätte. Ich konnte mich nicht während des parlamentarischen Verfahrens äußern.“
In der Weihnachtszeit macht auch der Bundestag Ferien. Da ist viel Zeit, um immer weitere Anschuldigungen veröffentlichen zu können, ohne Widerspruch fürchten zu müssen. Es ging Schlag auf Schlag. Fast jeden Tag tauchten neue Listen auf. Es entstand der Eindruck, die Politikerin habe die Flugbereitschaft der Bundeswehr wie einen Privatjet genutzt. Federführend war dabei die Bild-Zeitung. In deren Chefredaktion sitzt der Journalist Kai Diekmann, dem Bundeskanzler Kohl im letzten Jahr seine Erinnerungen über die Zeit der deutschen Vereinigung diktiert hat.
Noch am letzten Donnerstag war die Affäre der Bild-Zeitung eine Schlagzeile wert: „Das reicht nicht, Frau Süssmuth!“ titelte das Blatt. Zu diesem Zeitpunkt waren längst Details des Klose-Gutachtens in Bonn durchgesickert. Einen Tag später dann plötzlich die Kehrtwende: „Ältestenrat entlastet Frau Süssmuth“ lautete die kleine Überschrift über der Meldung, die auf der Seite 1 ziemlich weit nach unten gerutscht war.
Bundeskanzler Kohl hat sich mit einer Ehrenerklärung für die Kollegin lange Zeit gelassen. Im alten Jahr trat er lediglich Vermutungen entgegen, ihm käme die Affäre Süssmuth gelegen. Der Verdacht, das Bundeskanzleramt könne hinter der Kampagne stehen, war sogar in konservativen Zeitungen geäußert worden. Falls er stimmt, dann hat sich offenbar nichts anderes gegen die Politikerin finden lassen als Anschuldigungen, die vom obersten Leitungsgremium des Parlaments einstimmig als haltlos eingestuft wurden.
Rita Süssmuth ist in der Beliebtheitsskala, die sie jahrelang anführte, tief nach unten gefallen. Ihr war es wichtig, daß der Ältestenrat, in dem alle im Bundestag vertretenen Parteien sitzen und nicht eine Einrichtung von außen wie der Bundesrechnungshof, mit der Angelegenheit befaßt war. „Parlamentarisches gehört ins Parlament. Es wäre eine Geringschätzung der parlamentarischen Selbstkontrolle, wenn wir gleich nach einer außerparlamentarischen Institution rufen.“ Man sieht den wissenden Hohn geradezu vor sich, mit dem ein solcher Satz bedacht werden wird. Das Mißtrauen in der Bevölkerung und auch bei Journalisten gegen Politiker sitzt tief.
„Ich halte es für notwendig, daß eine Demokratie mit ihren Repräsentanten auf eine Weise umgeht, die auch die Würde dieser Demokratie widerspiegelt“, sagt Rita Süssmuth. Unterdessen machen im Zusammenhang mit dem Ältestenrat und Hans-Ulrich Klose Worte die Runde wie das vom Mops, den man mit der Bewachung der Würste betraut habe.
Etwas bleibt nach einer Affäre immer hängen. Gegenwärtig sieht es zwar so aus, als habe die Bundestagspräsidentin die Angelegenheit politisch überlebt. Aber sie ist angeschlagen. Jetzt noch irgendein Fehler, und sie stürzt. Vorwürfe bleiben allemal länger im Gedächtnis als Entlastungen, vor allem dann, wenn sie mit der Verschwendung von Steuergeldern verknüpft sind.
Erklärungen sind ja auch immer viel komplizierter als Beschuldigungen. Die Politikerin hat sich zur Promotionsfeier ihrer Tochter mit einem Bundeswehrflugzeug nach Zürich fliegen lassen. Das ist ein Satz. Er stimmt. Und er bleibt haften. Andere Leute müssen Fahrtkosten für Familienfeste schließlich auch selbst bezahlen.
Was sich im einzelnen abgespielt hat, läßt sich der Anlage des Klose-Gutachtens entnehmen. Am Sonntag, den 22. Oktober 1995 flog Rita Süssmuth in einer privat gebuchten und bezahlten Linienmaschine von Hannover nach Zürich. Einen Tag später reiste sie morgens wegen einer Sitzung der Rechtsstellungskommission nach Bonn. Dieser Flug war ebenfalls privat gebucht und bezahlt. Nachmittags flog sie dann mit der Bundeswehr zurück nach Zürich, um rechtzeitig für den Promotionsakt dort zu sein. Am Dienstag ging es mit einem privat gebuchten und bezahlten Linienflug nach Düsseldorf, von wo aus sie nach Bonn fuhr.
Sie hat also statt zwei drei Tickets bezahlt, weil sie zwischendurch einen dienstlichen Termin wahrgenommen hat. Für diese Erklärung werden fünf Sätze gebraucht. Die kann man sich nicht so gut merken wie den einen oben.
Im August 1996 hatte Rita Süssmuth an zwei aufeinanderfolgenden Tagen die Flugbereitschaft in Anspruch genommen, um von ihrem Urlaubsort in den Niederlanden zu Dienstterminen zu reisen. Hier merkt Klose kritisch an, daß eine Reduzierung auf nur einen Hin- und Rückflug möglich gewesen wäre, „allerdings unter stärkerer Belastung des ohnehin aus dienstlichen Gründen unterbrochenen Urlaubs“.
„Das war damals ein echter Konflikt. An meinem Urlaubsort war eine 92jährige, die ich über Nacht nicht allein lassen konnte“, sagt Rita Süssmuth. „Ich hatte da doch auch Verantwortung übernommen. Hätte ich den Diensttermin nicht angenommen, wäre ich überhaupt nie in den Konflikt gekommen. Aber Sie können sicher sein: Wenn ich das nächste Mal in so eine Lage komme, sage ich den Termin während der Urlaubszeit ab.“
Wäre das nicht ohnehin manchmal besser gewesen? Hat die Bundestagspräsidentin bei ihrer Terminplanung die hohen Kosten, die die Flugbereitschaft verursacht, wirklich jedesmal mitbedacht? „Es ist nicht möglich zu sagen: Fehler gibt's bei mir überhaupt nicht. Natürlich können Fehler unterlaufen. Aber die Frage ist doch, ob sie wissentlich geschehen.“ Lange Pause. „Ob Aufwand und Ertrag eines Termins in der richtigen Relation zueinander stehen, das läßt sich nicht immer voraussagen. Aber sind Sie sich da immer ganz sicher?“
Rita Süssmuth will Termine nicht ausschließlich an das Kriterium des größtmöglichen Nutzens und der breitesten Wirkung knüpfen. „Dann können Sie zu kleineren Initiativen überhaupt nicht mehr gehen. Dann können Sie jede Veranstaltung ohne Bundesbezug und mit weniger als tausend Leuten sein lassen.“ Das sei auch eine Frage an die Bevölkerung: „Wie sollen eigentlich eure Repräsentanten sein? Hätte ich nichts gemacht oder weniger – sicherlich spare ich dann auch Transportkosten. Aber ich bin dann eben auch nicht da.“
Die Affäre ist als politisches Thema erst einmal vom Tisch. Aber sie bleibt für die politische Kultur nicht folgenlos. Rita Süssmuth glaubt, „daß das, was geschehen ist, nicht einfach ungeschehen gemacht werden kann“. Und auch im persönlichen Bereich und im Umgang mit Kollegen wird sie Zeit für eine Rückkehr zur Alltagsroutine brauchen. Ihr Ziel: „Die zu bleiben, die ich war.“ Das klingt nicht trotzig. Das klingt besorgt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen