: Die wichtigsten Pipelines führen weiter von Ost nach West
Weshalb auch Polens neugewählte Regierung Öl und Gas von der Sowjetunion kaufen muß/ Die Wirtschaft bleibt auch 1991 das schwierigste Problem ■ Aus Warschau Klaus Bachmann
Bei ihrem Abtritt hinterläßt die Regierung Mazowiecki über 1,1 Millionen Arbeitslose, einen nach wie vor stabilen Zloty, 45 Milliarden Dollar Auslandsschulden und eine Inflation von zuletzt etwa 3 Prozent im Monat. Begonnen hatte sie mit 50.000 Arbeitslosen, einem Dollarkurs, der fast täglich stieg, 40 Milliarden Dollar Schulden und einer Inflationsrate von 70 Prozent im Monat. Die Arbeitslosigkeit wird inzwischen von fast allen politischen Kräften als notwendiges Übel hingenommen; anders, so die Rechtfertigung, ließen sich höhere Produktivität, Arbeitsdisziplin und die Umstrukturierung in der Wirtschaft nicht erreichen. Zumal die Arbeitslosenrate mit knapp acht Prozent immer noch unter dem europäischen Durchschnitt liege.
Zu ihren Erfolgen rechnet die Regierung den stabilen Dollar-Zloty- Kurs und die Bekämpfung der Inflation. Um den Zloty auf dem Niveau von 1:9.500 halten zu können, hatten zahlreiche westliche Länder Ende 1989 Vorzugskreditlinien für einen Stabilisierungsfonds in Höhe von zehn Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt. Niemand wußte damals genau, ob der Kurs so den Marktbedingungen entsprechen würde. Tatsächlich führte er zu einem anhaltenden Exportboom bei gleichzeitigem Importrückgang. Folge: Der Stabilisierungsfonds wurde für seinen eigentlichen Zweck bis zum Schluß nicht in Anspruch genommen, Polen erwirtschaftete zum ersten Mal wieder einen Außenhandelsüberschuß mit Hartwährungsländern. Dies läßt darauf schließen, daß der Kurs einseitig die Exporteure begünstigte. Um die Importnachteile auszugleichen, korrigierte die Regierung daher mehrfach während des Jahres die Einfuhrzölle nach unten, zuletzt wurde etwa der Zolltarif für die Einfuhr von PKW von 14 auf 10 Prozent gesenkt. Zugleich verschlechterten sich aber auch die Bedingungen für die Exporteure, deren Erlöse in Zloty durch die anhaltende, wenn auch langsam steigende Inflationsrate immer mehr an Wert verloren. Zwar hat Vizepremier Balcerowicz inzwischen in den USA ausgehandelt, daß Polen der amerikanische Beitrag zum Stabilisierungsfonds auch 1991 erhalten bleiben wird, doch rechnet die Bevölkerung mit einer Korrektur des Dollar-Zloty-Verhältnisses im Januar.
Dollar-Absturz in Polen
Tatsächlich hat der Dollar, und mit ihm fast alle in Polen gängigen harten Währungen, drastisch an Kaufkraft verloren; eine Zeitung errechnete sogar einen Wertverlust auf ein Siebentel im Vergleich zum Januar 1990. Eine größere Veränderung der Kursrelation wäre allerdings für die Privatisierung fatal: Bis 1990 hatten die PolInnen ihre Ersparnisse vorwiegend in harten Währungen angelegt, weil deren Schwarzmarktwert mit der Inflation — zum Teil sogar schneller als diese — stieg. Erst seit der Einführung des Balcerowicz- Plans bringen Zloty-Anlagen, besonders in Staatsanleihen und Aktien, höhere Rendite als Dollarguthaben, deren Wert jetzt sogar permanent sinkt. Eine Abwertung des Zloty — und nur eine solche Korrektur wird erwartet — würde mit Sicherheit zu einer Rückkehr zum Dollarsparen und zu geringerer Nachfrage nach Wertpapieren auf Zloty führen. Allerdings ist nicht auszuschließen, daß Polen im kommenden Jahr stärker auf die ausländischen Kreditlinien wird zurückgreifen müssen. Es sei gut gewesen, die Reserve zu haben, betont Vizepremier Balcerowicz, so habe Polen die Preissteigerungen im Energiebereich, die durch die Golfkrise hervorgerufen wurden, leichter abfangen können.
In diesem Jahr laufen zusätzlich noch die Handelsvereinbarungen mit der Sowjetunion und anderen RGW- Staaten aus. Dann muß Polen für sowjetisches Erdgas, Öl, Treibstoff und andere Rohstoffe in Hartwährungen bezahlen. Zugleich aber fallen immer mehr Abnehmer, besonders aus der UdSSR und der DDR, für Polen aus. Die Außenhandelsüberschüsse aus diesem Jahr könnten sich dann leicht ins Gegenteil verkehren, so daß Polen seine Auslandsverschuldung kaum wird abbauen können.
Wenn am 1. Januar der gesamte RGW-Binnenhandel auf Dollarverrechnung umgestellt wird, wird das in vielen Betrieben zu erheblichen Erschütterungen führen. Ostfirmen hatten sich in Jahrzehnten daran gewöhnt, sorglos liefern zu können. Sie mußten sich weder Gedanken um Qualität noch Preis machen. Alles war in den Handelsprotokollen zwischen den Regierungen geregelt, Ware wurde gegen Ware verrechnet — nach Wechselkursen, die mit Weltmarktpreisen nicht das geringste zu tun hatten. Polen subventionierte Schiffe für die Sowjetunion, die UdSSR lieferte Rohstoffe weit unter Weltmarktpreisen, und Wirtschaftsexperten beider Länder waren stets davon überzeugt, bei diesem Geschäft draufzuzahlen.
Um die Umstellung etwas erträglicher zu gestalten, haben etwa Polen und die Sowjetunion sogenannte „Indikationslisten“ zusammengestellt, die jene Lieferungen umfassen, deren Finanzierung zentral garantiert wird. Anders als in Polen gibt es in der Sowjetunion noch immer das System der sogenannten „Devisenabschreibungen“. Demzufolge muß ein Betrieb 40 Prozent seiner Deviseneinnahmen zu einem von der Nationalbank festgesetzten Kurs an den Staat verkaufen. Zur Zeit entspricht 1 Dollar 1,66 Rubel, während der Dollar auf dem Schwarzmarkt zu 23 Rubel gehandelt wird.
Lieferschwierigkeiten aus der UdSSR
Nach einem Präsidentendekret ist inzwischen der Anteil an Devisen, den die Firmen behalten dürfen, sogar auf 18 Prozent gesunken, so daß viele sowjetische Betriebe Schwierigkeiten haben werden, das für Importe notwendige harte Geld überhaupt zu erwirtschaften. Nur im Fall der „Indikationslisten“ springt der Staat ein.
Für die östlichen Partner der UdSSR haben die Listen den Vorteil, daß Lieferungen mit größerer Wahrscheinlichkeit auch ankommen. Mit ihren Rohstofflieferungen ist die Sowjetunion im letzten Jahr nämlich im Rückstand geblieben. Hinzu kommt, daß Polen, wie zum Teil auch die CSFR und Ungarn, von sowjetischen Rohstofflieferungen abhängig ist, die Sowjetunion aber einen Großteil der aus diesen Ländern kommenden Produkte, besonders Maschinen und Fertigteile, zu ähnlichen Preisen auch aus anderen Ländern importieren könnte. Die Preise für andere Rohstoffe, besonders Gas, werden laut Ledworowski um 300 bis 400 Millionen Dollar steigen. „Wenn wir unser Handelsvolumen von 1990 in Dollar umrechnen und mit dem vorraussichtlichen Volumen für 1991 vergleichen“, sagte er der 'Polityka‘, „dann geht es um rund 40 Prozent zurück, womit für uns ein Defizit von zwei Milliarden Dollar verbunden ist.“
Im Zuge der Liberalisierung des Außenhandels im RGW-Bereich werden immer mehr Kontrakte direkt zwischen einzelnen Firmen geschlossen. Die Mehrzahl dieser Verträge ist aber weder über die Indikationslisten, noch über staatliche Garantien abgesichert. Besonders nachteilig wirkt sich das für die polnische Textilindustrie aus, die die Rezession besonders stark getroffen hat. In der Sowjetunion kommt noch hinzu, daß besonders in den westlichen Republiken der Zugang der Betriebe zu Devisenkrediten noch weitgehend unklar ist. Nur die Moskauer Außenhandelsbank darf Devisenverrechnungen mit dem Ausland vornehmen, nicht aber die Banken der Republiken. Es steht daher zu vermuten, daß die Betriebe viele Waren aus Polen oder der CSFR zwar bestellen und entgegennehmen werden, sie dann aber nicht bezahlen werden können. Daher hat Polen bereits mit Verhandlungen über entsprechende Indikationslisten mit den einzelnen Republiken begonnen: Lieferungen werden auf Basis eines Dollarclearings verrechnet, das vierteljährlich ausgeglichen wird. Darüber hinaus will Polen ein Exportversicherungssystem, ähnlich dem westdeutschen „Hermes“, aufbauen.
Auch Touristen brauchen Hartgeld
Die Umstellung auf Dollarbasis betrifft indessen nicht nur Polen und die Sowjetunion und nicht nur Betriebe. OsttouristInnen, die künftig in Hotels des jeweiligen Nachbarn unterkommen wollen, zahlen ihre Rechnung künftig in harter Währung. Polnische Rentenansprüche in der Slovakei müssen ebenfalls entsprechend verrechnet werden. Zugleich steigen die Telefontarife und die Preise für Flugtickets. Und auch im RGW beginnt der Wettbewerb.
Obwohl nun im östlichen Handel ein härterer Wind weht, sind polnische Wirtschaftsexperten sicher, daß die Umstellung Polen zum Vorteil gereicht. Besonders deshalb, weil es gelungen ist, Gaslieferungen in Höhe von 8,1 Milliarden Kubikmetern und 4,5 Millionen Tonnen Rohölimporte zu vereinbaren. Denn darauf, Gas und Öl möglicherweise auch aus dem Westen zu beziehen, sind Polens Häfen noch nicht vorbereitet: Die wichtigsten Pipelines kommen alle aus dem Osten.
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