■ Die vorläufige Bilanz des Kosovo-Krieges in der harten Währung von Macht, Einfluß und Hegemonie weist die USA als Verlierer aus: Die neue Rolle Deutschlands
Mit den vom US-amerikanischen Geheimdienst bekanntgegebenen Anzeichen für einen Rückzug jugoslawischer Truppen ist der Krieg der Nato gegen Jugoslawien als militärisches Unternehmen beendet – unabhängig davon, ob diese Anzeichen wirklich vorliegen oder nicht. Zugleich nahm der Krieg in den letzten Tagen jene Form an, die Kriege üblicherweise auch haben: die des massenhaften Sterbens von feindlichen Soldaten durch die Bombenteppiche der B 52. Parallell verschärfen sich – wie stets vor Waffenstillständen – die Kämpfe am Boden. Zwischen jugoslawischen Truppen und UÇK-Einheiten finden feldschlachtartige Gefechte statt. Mit dem Ende der kriegerischen Handlungen ist der politische Konflikt noch lange nicht an sein Ende gekommen – noch wird diplomatisch darüber gerungen, ob das ganze Unternehmen nur einen Sieger, Deutschland, oder noch einen zweiten Sieger, Rußland, kennt. Eine UN-Resolution ist zwar in Sicht, aber noch nicht verabschiedet, Rußland beharrt auf einem Ende des Nato-Bombardements vor der Verabschiedung der Resolution und arbeitet weiter beharrlich an seinem Wiederaufstieg von der Groß- zur Weltmacht.
Für eine abschließende Bilanz dieses Krieges ist es zu früh. Sie wird erst möglich sein, wenn staatsanwaltliche Ermittlungen die Leichenfelder und Massengräber des Kosovo vermessen und geöffnet haben, die Summe aus den unzähligen Zeugenaussagen der vertriebenen Albaner gezogen ist und demokratische serbische Institutionen eine ehrliche Aufstellung über die militärischen und zivilen Toten Serbiens veröffentlicht haben. Bis zu diesem Zeitpunkt, an dem erst sich entscheiden wird, ob dieser Krieg wirklich zu verantworten war, bleiben Behauptungen, daß dies ein Sieg von Frieden und Menschenrechten sei, kaum mehr als Propaganda.
In der harten Währung von Macht, Einfluß und Hegemonie läßt sich demgegenüber sehr wohl eine Bilanz ziehen:
– Die USA, die die Hauptlast dieses Krieges getragen haben, mußten ein weiteres Mal – wie schon in Bosnien – erfahren, daß es sich weder von ihren imperialen noch von ihren moralischen Interessen her lohnt, für die Europäer die Kastanien aus dem Feuer zu holen.Die Hoffnung, künftig ihre weltweiten Strategien mit dem Etikett „Nato“ zu bekleben und damit einen legitimatorischen Zugewinn zu erzielen, hat sich zerschlagen. Allen vollmundigen Erklärungen von EU-Politikern zum Trotz hat die Solidarität zwischen Europa und den USA durch diesen Krieg Schaden genommen, waren die USA seit den Zeiten des Vietnamkrieges nicht mehr so weit von Europa entfernt wie jetzt. Die Art und Weise, wie die USA bei den Petersberger Gesprächen ausmanövriert wurden, dürfte sich mittelfristig rächen – sei es durch eine neue isolationistische Stimmung, sei es durch eine eigene Politik gegenüber China und Rußland unter Umgehung der Europäer.
– Rußland hingegen, das die genozidale Politik Jugoslawiens im Kosovo lange Zeit geduldet und ansonsten von eigenen Problemen überlastet nicht den geringsten Anteil genommen hat, ist durch diesen Krieg wieder eine Rolle im Zentrum europäischer und der Weltpolitik zugefallen, wie seit dem Ende der Sowjetunion nicht mehr. Ohne einen Rubel ausgegeben oder einen Schuß abgefeuert zu haben, lediglich mit ein paar markigen Sprüchen von Boris Jelzin über die Zielcodes strategischer Raketen sowie einer mäßigen Pendeldiplomatie ist der Nachfolgestaat der UdSSR dem Ziel einer weichen Aufteilung Osteuropas in Einflußzonen erheblich näher gekommen, die strategische Schlappe der Nato-Osterweiterung ausgebügelt. Macht besteht darin, sie nicht ausüben zu müssen. Die Freude über dieses Kriegsende wird sich im Baltikum, in der Ukraine, im Kaukasus und in Republiken wie Tschetschenien in Grenzen halten, die Slowakei auf lange Zeit das letzte Land sein, das – wenn überhaupt – der Nato beitreten wird.
– Deutschland hingegen hat seine Macht in Ostmitteleuropa weiter ausgebaut. Nachdem das seit Jahrzehnten vom gleichen Personal geführte Außenministerium erst unter Genscher und Kinkel in Kroatien, dann – minder erfolgreich – in Bosnien und jetzt unter Fischer im Kosovo und Montenegro den Einfluß Deutschlands gefestigt hat, ist es einem alten strategischen Ziel der deutschen Konservativen seit Bismarck – unter demokratischen Vorzeichen – näher gekommen.
Der Wunsch, für die Grenzen des unruhigen Balkan keinen einzigen Grenadier zu opfern, gleichwohl den ethnischen Hexenkessel unter Kontrolle zu bringen und die Hegemonie mit Rußland zu teilen ist älter als hundert Jahre. Dieser besonnene Konservativismus ist wieder in sein Recht eingesetzt worden und hat Deutschlands noch nicht näher definierten Großmachtinteressen vorzüglich gedient. Mit dem künftigen Friedensschluß hat der Balkan, wenngleich europäisch maskiert, eine neue Schutzmacht: Deutschland. Die künftige Balkankonferenz wird das in einem langwierigen Prozeß besiegeln. Ähnlich wie im Falle Rußlands gilt, daß das Verhältnis von Einsatz und Gewinn ungewöhnlich günstig war. Mit einer Handvoll Tornados, ein paar tausend Soldaten, sowie ein wenig innen- und parteipolitischem Ärger hat sich die angeblich machtvergessene Bundesrepublik ihren Platz an der außenpolitischen Sonne gesichert. Ob innerhalb der EU oder jenseits ihrer Grenzen: An den deutschen Interessen führt in Zukunft nichts mehr vorbei. Daß das um so besser funktionieren wird, je weniger Deutschland diese Interessen lautstark artikuliert, ist allen Beteiligten klar. Ob der Unwille anderer europäischer Staaten, sich an einer Aufnahme von Flüchtlingen ebenso tatkräftig zu beteiligen wie Deutschland, nicht letztlich darauf zurückzuführen ist? Daß nämlich allen Beteiligten die politische Gesamtbilanz überdeutlich vor Augen steht?
Mit der minimalen, eher symbolischen Beteiligung am KosovoKrieg ist Deutschland in das zurückgekehrt, was man pathetisch als „die Geschichte“ bezeichnen könnte, nämlich in den Wettbewerb von Großmächten über Zuteilungen aller Art in der Weltgesellschaft. Die Antwort auf die Frage, ob dieser Krieg zur Reform einer UNO, die derzeit allenfalls den Weltnotar spielen darf, führen wird, steht ebenso in den Sternen wie die Hoffnung auf ein neues Völkerrecht oder effektiven Menschenrechtsschutz. Wie ernst es dem Westen damit ist, wird sich daran ermessen lassen, ob es ihm gelingt, Miloevic in Den Haag vor Gericht zu stellen, oder ob er als Pensionär ein ebenso sicheres Leben führen wird wie Karadic, Mladic oder der noch immer unangefochtene Saddam Hussein – gespenstische Zeugen einer Politik, die zwar „Menschenrecht“ sagt, aber Hegemonie und „balance of powers“ meint. Micha Brumlik
Der Balkan hat eine neue, europäisch maskierte Schutzmacht: Deutschland
Das Verhältnis von Einsatz und Gewinn war für die Bundesrepublik günstig
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