■ Israel: Rätselraten um die Rücktrittsdrohung des Außenministers: Die verlorene Ehre des David Levy
„David Levy verirrt sich in New York. Er ruft sein Büro an: Bitte, holt mich ab. Ich stehe an der Ecke Walk/Don't Walk!“ Dies ist nur einer von vielen Witzen, die über den israelischen Außenminister kursieren. Die israelische Oberschicht, zum großen Teil aus Europa zugewandert („Aschkenasim“), hat den aus Marokko stammenden Levy nie ganz ernst genommen. Der ehemalige Bauarbeiter aus Beth Shean, einem der verwahrlosesten Orte Israels, wurde von Menachem Begin gefördert, um den für ihn wichtigen Bund zwischen dem Likud und den aus orientalischen Ländern stammenden Juden zu festigen.
Dieser Bund beruht auf dem gemeinsamen Haß gegen die Arbeitspartei, die die gebildeteren Aschkenasim vertritt. Das Ergebnis ist ein israelisches Paradox. Der Likud, wirtschaftlich und sozial eine ausgesprochene Rechtspartei, vertritt mit Netanjahu, einem Aschkenasi par excellence, die Politik von Reagan und Thatcher. Gewählt wird der Likud aber von den Armen in den sogenannten „Entwicklungsstädten“, in denen ein großer Teil der aus arabischen Ländern eingewanderten Juden lebt. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Verbitterung oft gewaltsam.
Levy wäre gern alleiniger Vertreter dieser Schicht. Er hat die jetzige Krise heraufbeschworen, da er einige hundert Millionen Mark für diese Städtchen möchte. Wegen dieser Forderung ist er einst aus dem Likud ausgetreten, hat die Gescher-Partei gegründet, um dann wieder in ein Wahlbündnis mit dem Likud einzutreten. In der Knesset hat seine Partei lediglich fünf Sitze. Das genügt nicht, um die Regierung zu stürzen. Dennoch kann es sich Netanjahu nicht leisten, die orientalischen Wähler vor den Kopf zu stoßen.
Die augenblickliche Regierungskrise hat aber auch persönliche Hintergründe. Levy und Netanjahu sind seit langem Todfeinde. So behauptete Netanjahu, daß sein Konkurrent ihn mit einer Kassette zu erpressen versuchte, die ihn beim Ehebruch zeige. Zwar stellte sich heraus, daß eine solche Kassette nicht existiert. Die Affäre führte aber zu einem Bruch mit Levy. Seitdem scheitern regelmäßige Versöhnungsversuche.
Was will Levy? Manche behaupten, es wäre nur ein gigantischer Erpressungsversuch, um seine verlorene Ehre wiederherzustellen und einen Erfolg für die orientalischen Juden zu verbuchen. Andere glauben, daß es diesmal ernst ist und Levy die Regierung zu Fall bringen will, um bei Neuwahlen mit eigener Partei die Stimmen der „Orientalen“ zu gewinnen. Im Likud hofft man auf eine Versöhnung – bis zum nächsten Mal. Uri Avnery
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen