■ Die neuste britisch-irische Nordirland-Erklärung bringt nichts Neues: Form ohne Inhalt
Es ist ein Meisterwerk der Semantik, das Britanniens Premierminister Tony Blair und sein irischer Amtskollege Bertie Ahern am Gründonnerstag vorgelegt haben. Eine Niederlage bei den Nordirland- Verhandlungen konnten sie nicht eingestehen, dafür haben sie zuviel investiert. Statt dessen bezeichneten sie ihre eigene Erklärung als „weiteren riesigen und wichtigen Meilenstein auf dem Weg zu unserem Ziel“. Tatsächlich sind sich die beiden Seiten trotz nächtelanger Verhandlungen keinen Schritt nähergekommen. Die Unionisten bestehen weiterhin auf Ausmusterung der IRA-Waffen, bevor Sinn Féin in die Allparteien-Regierung darf; Sinn Féin sagt, diese Forderung könne die Partei nicht erfüllen.
Was wie ein Kompromiß aussieht, ist in Wirklichkeit die Formulierungskunst der „Spin Doctors“, die das Scheitern zum Erfolg umdeuten. Die einzelnen Punkte sind so schwammig formuliert, daß der Streit darum weitergehen wird, wenn die „Pause zur Besinnung“ am übernächsten Dienstag vorbei ist. Es sollen „einige Waffen auf freiwilliger Basis außer Betrieb gesetzt“ werden, heißt es. Ist eine Waffe außer Betrieb, wenn der Abzugshahn abmontiert ist, gilt Sprengstoff als unbenutzbar, wenn kein Zünder angebracht ist? Mit wie vielen Waffen sind die Unionisten zufrieden, und was bedeutet „freiwillig“? Interpretationen gibt es zuhauf, und um eben solche dreht sich der ganze Zwist, der den Friedensprozeß seit Monaten lähmt. „Abrüstung ist keine Vorbedingung, sondern Pflicht“, formulierten die „Spin Doctors“ nun wenig erhellend. Beim „kollektiven Akt der Versöhnung“ in sechs Wochen soll aller Opfer des Konflikts gedacht werden. Kann man sich ernsthaft vorstellen, daß David Trimble nicht nur die Soldaten und Polizisten würdigt, die in den vergangenen dreißig Jahren in Nordirland umgekommen sind, sondern auch die IRA-Kämpfer?
Natürlich ist es für den Erfolg des Friedensprozesses entscheidend, die Dinge so zu fassen, daß es keine Sieger und Verlierer gibt, doch irgendwann kommt der Punkt, wo Blair und Ahern Stellung beziehen müssen – sonst interpretiert man bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag. Im britisch-irischen Abkommen, das Trimble vor einem Jahr unterzeichnet hat, ist für die Abrüstung eine Frist von zwei Jahren gesetzt, da hat Sinn Féin recht. Andererseits hat ein führender Sinn- Féin-Politiker vorige Woche erklärt, man erkenne die Teilung Irlands und die britische Herrschaft im Norden der Insel an. Wozu dann noch Waffen? Ralf Sotscheck
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