Die neuen Sündenböcke: Der Hass auf die Roma
Sie erhalten Morddrohungen, der Mob veranstaltet Hetzjagden auf sie, und von den Behörden droht Abschiebung: Wie die Roma in Europa verfolgt werden.
Es war eine alarmierende Rede, die Navanethem Pillay gestern vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf hielt. In der Bilanz des ersten Jahres ihrer Amtszeit warnte die aus Südafrika stammende UN-Hochkommissarin für Menschenrechte vor dem Erstarken des Antiziganismus in Europa. Roma seien in Ungarn "tödlichen Angriffen", in der Slowakei "schweren Misshandlungen durch die Polizei" und in Italien "erniedrigender Behandlung" ausgesetzt. In Bulgarien werde die ethnische Minderheit aus dem Gesundheitssystem und in der Tschechischen Republik aus dem Bildungssystem ausgeschlossen. "Gewaltsame Vertreibungen, direkte oder indirekte Diskriminierung" von Roma gebe es in 17 europäischen Ländern, darunter Finnland, Frankreich, Schweden und Großbritannien. "Wir müssen viel mehr tun, um all dies zu beenden", schloss Pillay.
Das sieht auch das Europäische Zentrum für Antiziganismusforschung (Ezaf) in Hamburg so. Dessen Direktor Marko Knudsen spricht gar von einer "neuen Pogromstimmung". Es sei erschreckend, dass "kein Land sich seiner historischen Verantwortung stellt" und die Roma wirksam schütze. Während der NS-Zeit wurden mehrere hunderttausend Roma ermordet.
Begonnen hat die aktuelle Gewaltwelle in Italien. Dort starben 2007 vier Kinder bei einem Brand in einem Roma-Barackenlager in Livorno. Die Eltern wurden wegen "Verwahrlosung von Minderjährigen" verhaftet, nach Angaben der Gesellschaft für bedrohte Völker gibt es jedoch mehrere Hinweise für einen Brandanschlag. In jener Zeit "ist die Hetze losgegangen", sagt Knudsen. Als die Polizei Rumänen verdächtigte, Vergewaltigungen begangen zu haben, forderten italienische Leitartikler ein "Ende der Toleranz". Es kam zu Brandstiftungen in Roma-Lagern von Catania, Mailand, Rom und anderen Städten. Im Mai 2008 umzingelte ein bewaffneter Mob in Kampanien ein Lager und steckte es an. Hohe Politiker äußerten Verständnis, die Regionen Kampanien, Lazio und Lombardei riefen den "Notstand der Nomaden" aus: Lager wurden geräumt, die Daten von Sinti und Roma systematisch erfasst, ihre digitalen Fingerabdrücke genommen. Eine von der George-Soros-Foundation bezahlte Studie stellte eine "neue Dimension der Gewalt gegen Roma" in Italien fest, bei der die "zentrale Rolle von Mainstream-Politikern besonders besorgniserregend" sei.
Die überwiegend in Osteuropa ansässigen Roma sind mit rund zehn Millionen Menschen die größte Minderheit in der EU. Doch fast nirgendwo sind sie gesellschaftlich integriert. Laut einer Studie von EU-Sozialkommissar Vladimír Spidla schlägt sich diese Ausgrenzung in einer bis zu fünfzehn Jahre geringeren Lebenserwartung als im europäischen Durchschnitt nieder. Nachdem viele ehemalige Ostblockstaaten der EU beigetreten sind, genießen nun Millionen Roma aus Rumänien, Ungarn, Bulgarien und der einstigen CSSR prinzipiell Freizügigkeit. Eine Auswanderung könnte für viele ein Ausweg sein, um den wachsenden Anfeindungen in dieser Region zu entgehen.
Denn etwa in Ungarn, wo die Roma die größte Minderheit bilden, kam es seit Anfang des Jahres zu einer Serie von Angriffen. Zuletzt wurde Anfang August eine 45-jährige Romni in ihrem Haus in Ostungarn durch Schüsse aus einem Jagdgewehr getötet, ihre 13-jährige Tochter schwer verletzt. Im Februar kam es südlich von Budapest zu einer regelrechten Treibjagd auf eine Roma-Familie. Ein 27-jähriger Mann und sein vierjähriger Sohn wurden dabei erschossen, nachdem sie aus ihrem mit einem Molotowcocktail angezündeten Haus geflohen waren.
Statistik: Die Volksgruppe der Roma ist nur schwer zu erfassen. Sie sind oft staatenlos, in einigen Ländern sind Fragen nach der Ethnie nicht erlaubt. Häufig wird eine solche Angabe auch aus Angst verweigert. Die Balkankriege lösten Vertreibung und Flucht aus.
Einzelne Länder: In Albanien sind nur 1.300 Roma gemeldet, während Experten die Zahl auf über 100.000 schätzen. In Rumänien stehen etwa 550.000 Registrierte Schätzungen in Millionenhöhe gegenüber. In Deutschland leben nach Angaben von Behörden und dem Zentralrat der Sinti und Roma etwa 70.000 Roma mit deutschem Pass. (cja)
Im Nachbarland Tschechien leben rund 250.000 Roma, dort nahm die Polizei Mitte August zwölf Rechtsextremisten fest, die einen Brandanschlag auf das Haus einer Roma-Familie in Mähren verübt haben sollen. Bei dem Anschlag im April waren drei Menschen schwer verletzt worden. Mehrere Roma-Demonstrationen wurden danach von Neonazis angegriffen. Im Juli steckten Unbekannte im Mähren erneut das Haus einer Roma-Familie an.
In Rumäniens Hauptstadt Bukarest machte sich vor kurzem Madonna unbeliebt, als sie bei ihrem Konzert Ende August für die Roma Partei ergriff. "Es gibt viele Fälle von Diskriminierung der Roma in Osteuropa, und dies macht mich sehr traurig", sagte sie. Die Stimmung kippte daraufhin schlagartig, die Sängerin wurde von 60.000 ihrer eigenen Fans ausgebuht. Anfang September war die französische Polizei in die Kritik geraten, weil sie 100 Roma aus einer Siedlung nahe Paris bei einer Kontrolle mit Stempeln auf dem Arm markiert hatte.
"Speziell mit dem Einsetzen der Wirtschaftskrise braucht man wieder einen Sündenbock. Und diese Rolle haben wir seit Jahrhunderten in Europa", sagt Marko Knudsen vom Ezaf. Auch für Rudko Kawczynski, den Vorsitzenden des Europäischen Roma-Forums in Straßburg, ist Antiziganismus "ein in den europäischen Gesellschaften tief verwurzeltes Phänomen", das dem Antisemitismus vergleichbar sei. Es habe zur Folge, dass Roma "mitten in Europa wie in den Townships von Südafrika leben".
Doch noch prekärer als die Lage der Roma, die Bürger eines EU-Staates sind, ist die Situation der rund 150.000 vor und während des Kriegs aus dem Kosovo geflohenen Roma. Die meisten kamen nach Deutschland, 23.000 blieben bis heute hier. Über sie schrieb der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, dass alle Minderheiten aus dem Kosovo "ernsthaften Gefahren ausgesetzt sind, die ihr Leben und ihre grundlegenden Freiheiten bedrohen".
Bis heute herrsche in der Region "eine unglaublich rassistische Atmosphäre", sagt auch Kawczynski. "In diesem Bürgerkrieg wollte man ein ethnisch reines Kosovo schaffen, und das hat man dank der Nato auch hingekriegt." Roma seien "vor den Augen der KFOR-Soldaten von der albanischen UÇK vertrieben worden". Diejenigen, die blieben, seien auf eine "bleiverseuchte Müllhalde verfrachtet" worden. Die Rede ist von Lagern, die der UNHCR direkt neben der Abraumhalde einer ehemaligen Bleischmelzanlage bei Mitrovica errichtet hat. Ärzte stellten bei Kindern Belastungen mit Blei, Cadmium und Quecksilber fest, die bis zu 1.200-fach über den Grenzwerten liegen. Dennoch leben bis heute viele Kosovo-Roma dort, denn ihre alten Wohnungen sind entweder zerstört oder beschlagnahmt. Die ökonomische Situation der Roma ist verheerend, ihre Arbeitslosigkeit liegt bei nahezu 100 Prozent. Erst letzten Dienstag beklagten Human Rights Watch und Amnesty International eine "aktuelle Welle von Angriffen" auf Roma. "Die haben da kein Zuhause, die haben da gar nichts mehr", sagt Kawczynski. "Ich habe mit den Offiziellen gesprochen: Eine Rückkehr würde zu Unruhen führen, man kann so was nicht tun. Es gibt kein Zurück."
Aus genau diesen Gründen hatte die UNO-Übergangsverwaltung Unmik die Rücknahme von Roma-Flüchtlingen stets abgelehnt. Doch schon 2003 hatten die deutschen Landesinnenminister entschieden, dass es für sie kein Bleiberecht geben soll. Sie drängten den damaligen Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), mit der Unmik eine "Erweiterung der Rückführungsmöglichkeiten" auszuhandeln. In Prishtina stieß Schily allerdings auf taube Ohren.
Nun ist die Lage anders. Im Februar 2008 erklärte sich die einstige serbische Provinz für unabhängig, sieben Monate später gab die Unmik die Zuständigkeit an den neuen Präsidenten Fatmir Sejdiu ab. Und der unterschrieb im Juli dieses Jahres ein Rückübernahmeabkommen mit Schilys Nachfolger Wolfgang Schäuble. Offiziell geschah dies, "um eine multiethnische Gesellschaft aufzubauen" - inoffiziell dürfte Sejdiu auf jeden Verbündeten angewiesen sein, denn bisher haben gerade mal 62 Länder den Balkanstaat anerkannt. Zur Koordination der Rückführungen setzte die Innenministerkonferenz zwei zentrale Stellen ein: Die Bezirksregierung Karlsruhe und die Ausländerbehörde Bielefeld. Laut deren Leiter Torsten Böhling darf Deutschland 2009 noch insgesamt 24.000 Menschen in den Kosovo abschieben - darunter fallen aber auch Albaner, Ashkali und andere. Ende dieses Monats soll es losgehen, rund 10.000 Roma droht die Abschiebung.
Abschiebewelle droht
Für Kawczynski ist Deutschland daher "die romafeindlichste Regierung in Europa". Der Europarat habe stets einmütig die Auffassung des UNHCR geteilt, dass eine Rückkehr für Roma in den Kosovo derzeit nicht in Frage komme. Doch bei einer Konferenz in Sevilla im Mai dieses Jahres habe die deutsche Delegation "von vornherein klargemacht, dass sie sich auf gar keinen Fall das Abschieberecht streitig machen lassen wird". Daraufhin hätten auch die Schweiz, Schweden und Österreich erklärt, nun Roma zurückzuführen.
Den Auftakt der großen Abschiebewelle macht Nordrhein-Westfalen: Für den 28. September plant die Bezirksregierung Düsseldorf die erste zentrale Roma-Sammelabschiebung per Charterflug in den Kosovo. Auch Niedersachsen, wo über 4.000 ausreisepflichtige Roma leben, macht Druck. "Letzte Woche hat Innenminister Uwe Schünemann die Ausländerbehördenchefs einbestellt und angehalten, die Abschiebung von Roma zügig einzuleiten", berichtet Kai Weber vom niedersächsischen Flüchtlingsrat. Grüne und Linkspartei haben im niedersächsischen Landtag am 26. August in einem gemeinsamen Antrag gefordert, Angehörige von Minderheiten nicht in das Kosovo abzuschieben. SPD und Teile der FDP stimmten für den Antrag, nur die CDU lehnte ihn ab. Schünemann teilte mit, er sehe "keine Veranlassung, diesen Forderungen nachzukommen", und verwies auf die demnächst auslaufende Altfallregelung, die "mit Abstand die großzügigste bundesweite Bleiberechtsregelung ist, die es jemals gegeben hat".
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