Die neue Rächtschreibung: Spuren verwischen
■ Teil 2 der taz-Serie zur Rechtschreib-Reform: Behende oder behände?
Der Countdown in den Printmedien läuft: Am 1. August stellen die deutschen Presseagenturen auf ndR (neue deutsche Rechtschreibung) um. Alle Tageszeitungen werden sich dem sofort anschließen. Die taz-Bremen wird der Kulturrevolution vom 1. August schon mal ein bisschen vorgreifen: Lektionen in neuer Orthographie – vorgestellt von Bremer Deutschleh-rerInnnen – finden Sie vorerst jeden Mittwoch an dieser Stelle.
Wenn ich nicht weiß, ob ein Wort mit ä oder e geschrieben wird, sehe ich mich nach ähnlichen, verwandten Wörtern um: zählen ist verwandt mit Zahl, quälen mit Qual und ängstlich mit Angst. Diese Faustregel wird in der Schule fleißig geübt. Aber sie scheint nicht immer zu funktionieren. Warum schreibt man belemmert mit e, obwohl es doch mit Lamm verwandt ist. Der Grund ist, dass belemmert sich eigentlich gar nicht vom Lamm herleitet, sondern von dem niederdeutschen Wort belemmen, das irgendwann im 18. Jahrhundert in den allgemeinen Sprachgebrauch übernommen worden ist. Doch das weiß heute keiner mehr, ausgenommen einer Handvoll Philologen.
Unsere Schüler sind aber keine Sprachwissenschaftler und so denken sie, wenn sie belemmert schreiben sollen, an Lämmer. Damit sollen sie künftig Recht behalten. Nach der neuen Rechtschreibung sollen die Wörter so geschrieben werden, wie sie nach heutigem Sprachgebrauch zusammengehören, und es ist nicht mehr entscheidend, wie sie früher einmal zusammenge-hörten. Und darum schreibt man nach der Reform in Zukunft verbläuen, weil es blau zugerechnet wird und man schreibt vom Quäntchen Glück, weil man ans Quantum denkt und heutzutage nicht mehr weiß, daß auch das alte Quentchen einst eine eigenständige Maßeinheit war.
Das vereinfacht den Rechtschreiballtag der SchülerInnen. Es erspart ihnen, lästige Ausnahmen zu lernen, von denen unsere Rechtschreibung leider voll ist. Also weniger Ausnahmen, aber auch weniger Rücksicht auf traditionelle Schreibweisen. Behende wird zu behände, denn es bedeutet „schnell bei der Hand“. Und das gilt auch, wenn jemand behände bei der Arbeit ist und dabei vielleicht die Hände gar nicht gebraucht.
Edmund Lang, Schulzentrum II, Neustadt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen