Tschechoslowakei, frühe Siebziger. Eine Welt – grau in grau. In einer Kneipe läuft psychedelische Musik, Menschen tanzen. Eine junge Frau mit markanter Frisur und noch markanterem Körperbau (extrem dürr) kommt an einen Tisch, die Jacke leicht geöffnet, darunter nur der Körper, die Brust entblößt. Sehr natürlich ist das (richtig gut: Michalina Olszańska).
Auffordernd sieht sie eine andere Frau an, sie tanzen und küssen sich. Ob hetero, homo oder bi ist an diesem Ort egal. So mancher wird überrascht sein über so viel Freizügigkeit hinter dem Eisernen Vorhang. Olga scheint glücklich. Es ist einer der wenigen Momente im Film (und in ihrem Leben), wo das so ist.
Die Szene wird in Erinnerung bleiben – als vielleicht laszivste dieser Berlinale. Zu sehen ist sie schon im Eröffnungsfilm des Panorama, dem Langfilm-Debüt von Tomáš Weinreb und Petr Kazda. „Já, Olga Hepnarová“ basiert auf der wahren Geschichte einer lesbischen Frau, die die Gesellschaft als feindlich empfindet – als Folteropfer ihrer eigenen Familie, als Mensch in einer inhumanen Welt.
Der Film ist ein Glücksfall für die Queerfilm-Festivalsektion. Er bringt politisch engagiertes (Trans-)Gender-Mainstreaming mit den Spielarten des Kinos in Deckung. Was sonst oft getrennt bleibt, findet hier zusammen: Jene „Kampfkraft“, die für Sektionsleiter Wieland Speck vom Thema „Sichtbarmachung von Nicht-Heterosexualität“ ausgeht, und eine stringente filmische Form.
Berlinale 2016
Der „Goldene Bär für den besten Film“ ging an „Fuocoammare“. Der Preis ist ist die höchste Auszeichnung der Internationalen Filmfestspiele in Berlin. „Fuocoammare“ hält das Leben der Menschen auf Lampedusa fest. Er wurde erstmals am 13. Februar im Wettbewerb der Berlinale gezeigt.
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Blitzlichtgewitter, ein selbstfahrendes Auto und jede Menge Stars – das war die Berlinale 2016. Am Sonntag geht sie zu Ende.
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Silberne Bären bekamen Majd Mastoura als „Bester Darsteller“ in „Inhebbek Hedi“ und Trine Dyrholm als „Beste Darstellerin“ in „Kollektivet“ (v.l.). Außerdem erhielt Danis Tanovic den „Silbernen Bären Großer Preis der Jury“ für seinen Film „Smrt u Sarajevu“. Der „Silberne Bär Alfred-Bauer-Preis“ ging an den Film „Hele Sa Hiwagang Hapis“ von Lav Diaz.
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Preisträgerin Mia Hansen-Love ist glücklich über ihren Silbernen Bären für die beste Regie von „L'avenir“. Auch Tomasz Wasilewski erhielt einen für das Beste Drehbuch von „United States of Love“. Auch Mark Lee Ping-Bing konnte sich glücklich schätzen: Er erhielt einen „Silbernen Bären für eine Herausragende Künstlerische Leistung“ in „Crosscurrent“.
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Kameramann Michael Ballhaus hat den Goldenen Ehrenbären für sein Lebenswerk bekommen. Sein Markenzeichen: 360-Grad-Kamerafahrten. Bei der Preisverleihung wurde auch „Gangs of New York“ mit Leonardo DiCaprio und Cameron Diaz gezeigt.
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Meryl Streep erhielt 2012 auch einen Goldenen Ehrenbären für ihr Lebenswerk. Die dreifache Oscar-Gewinnerin war in diesem Jahr die Präsidentin der internationalen Jury. Diese verleiht den Goldenen und den Silbernen Bären der Berlinale. Die US-Schauspielerin ist derzeit im Film „Suffragette“ zu sehen.
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Nur durch seine bloße Anwesenheit stach George Clooney bei der Eröffnung der Berlinale am 11. Februar hervor. Selfies mit Fans zu machen gehört zur Berlinale einfach dazu. Clooney spielt die Hauptrolle im Film „Hail, Caesar!“ und zeigte sich mit seiner Frau Amal Alamuddin auf dem Roten Teppich. Am 12. Februar sprach er mit Kanzlerin Angela Merkel über die Flüchtlingskrise.
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In „Hail, Caesar!“ mimt George Clooney den Hollywoodstar Baird Whitlock. Der Film von den Coen-Brüdern entführt den Zuschauer in eines der großen Filmstudios im Hollywood der frühen Fünfzigerjahre. 2011 eröffneten die Coens bereits mit „True Grit“ die Berlinale. „Hail, Caesar!“ ist seit dem 18. Februar in den deutschen Kinos zu sehen.
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Der deutsche Filmstar Daniel Brühl erregte ebenfalls Aufsehen, als er zur Eröffnungsgala der Berlinale in einem selbstfahrenden Auto erschien. Zudem spielt er im Berlinale-Film „Alone in Berlin“ einen Kommissar, der die Herkunft von Anti-Hitler Postkarten aufdecken soll. Mit Emma Watson ist Brühl abseits der Berlinale auch im Kinofilm „Colonia Dignidad“ zu sehen.
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Der Künstler Ai Weiwei hat am 13. Februar das Berliner Konzerthaus mit Rettungswesten von der griechischen Insel Lesbos einkleiden lassen. Damit will er auf die Flüchtlinge, die auf ihrer Flucht nach Europa ertrunken sind, aufmerksam machen. Ai Weiwei ist Ehrenpräsident des „Cinema for Peace“, das zeitgleich zur Berlinale stattfand.
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Der einzige deutsche Film im Wettbewerb heißt „24 Wochen“. Was macht ein Paar, bei dessen ungeborenem Kind Trisomie 21 diagnostiziert wird?
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Außerdem war im Wettbewerb: der Film „Chang Jiang Tu“. Kapitän Gao Chun fährt mit seinem Frachter auf dem chinesischen Jangtse flussaufwärts. Er soll die Seele seines verstorbenen Vaters befreien und ist gleichzeitig auf der Suche nach der großen Liebe. Der Film ist am 21. Februar im Haus der Berliner Festspiele zu sehen.
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Johnny Oritz ist erst 19 Jahre alt und hat bereits seine erste Hauptrolle im Film „Soy Nero“, der im Wettbewerb gezeigt wurde. Darin verkörpert er den mexikanischen Jungen Nero, der US-Bürger werden will. Oritz hat eine besondere Verbindung zum Thema: Seine Familie ist auch in die USA migriert.
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Der Schauspieler Gérard Depardieu bewarb am Freitag „Saint Amour“. Der Film gewann keinen Bären, er lief außer Konkurrenz.
reuters
Die Biographie der 1951 geborenen Hepnarová macht deutlich, wie (selbst‑)zerstörerisch sich die psychische Welt derer ausnehmen kann, die von ihrer Umwelt ausgeschlossen und abgestoßen, drangsaliert und zermalmt werden. Olga flüchtet aus einer funktionierenden Familie (“Alle Eltern sollten exekutiert werden und die Kinder ins Heim kommen!“), zieht in eine heruntergekommene Hütte und scheint ein für sie passendes proletarisches Bohème-Dasein als Lastwagenfahrerin zu etablieren.
Immer wieder wendet sie sich an ihre Mutter, die doch nur Psychopharmaka zu bieten hat. Die psychiatrische Klinik fühlt sich nicht zuständig. So bleiben Zigaretten und Pillen, das Verfassen von Tagebüchern und Briefen und schließlich der Entschluss zur Tat.
„Ich weiß ich bin ein Psycho, aber aufgeklärt. Ihr werdet euer Lachen bereuen.“ Ein Racheakt mit frontaler Ansage und bewussten Folgen. Im Juli 1973 fährt sie mit einem LKW in eine Menge und tötet acht Menschen. 1975 dann: Todesstrafe am kurzen Strang, die letzte an einer Frau vollzogene in der ČSSR.
Weinreb/Kazda halten sich eng an die Überlieferung und rekonstruieren dieses schwierige Leben, inklusive Abwendung von der Realität und Hinwendung zur unbeseelten Materie. Genau deshalb gelingt dem Film die spielerische Auflösung eines radikalen inneren Determinismus. Ein Aufflackern ambivalenter Emotionen inmitten der Dauer-Gefühlslosigkeit ist möglich. Liebe auch. Kein ödes Biopic ist das, sondern Psycho- und Sozialanalyse als Queer-Film.
"Ja, Olga Hepnarova"
11.02. CinemaxX 4, 5 und 7, 12.02. CineStar 3, 13.02. Cubix 7 und 8, 18.02. International, 21.02. Cubix 7 und 8 (E)
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