Die kulturhistorische Faust: Vorgereckte Kampfhand
Vom südkoreanischen Kampfsport bis zur amerikanischen Black-Panther-Bewegung: Die Faust hat kulturhistorische Bedeutung. Daran wird Breivik nichts ändern.
Da es unmöglich ist, das Bild des Massenmörders Breivik mit vorgereckter Faust nicht zu sehen, da es unvermeidlich in die Annalen der großen und irren Verbrechen eingehen wird, da es in jedem Jahres- und Jahrzehnt-Rückblick abgebildet sein, in jedem Lexikon abgedruckt und in jeder Suchmaschine auftauchen wird, gilt es nun dringend, die Faust-Symbolik vom norwegischen Straftäter abzukoppeln.
Denn eigentlich ist die Faust ein zu altes, zu vielseitiges und zu wichtiges Zeichen, um bei ihr an diesen Wahnsinnigen zu denken.
Stattdessen könnte man sich zum Beispiel der südkoreanischen Martial-Arts-Variante Soo Bahk Do erinnern, die in den 40er Jahren von Hwan Kee erfunden wurde, verschiedene Techniken aus dem Kung Fu und moralische Grundsätze aus den Philosophien Konfuzius’ und Laotses mischte und als Symbol eine frontal zum Betrachter geballte, gelbe Faust wählte.
(Obwohl, jedenfalls wenn man den Kung Fu Panda als Informationscluster nimmt, in asiatischen Kampfkünsten der Faust als Waffe eine weit geringere Bedeutung zuteil wird als beim westlichen Prügelsport.)
Nächtelang zu Single-B-Seiten durchtanzt
Eine nach oben gereckte Faust ist zudem das Logo des britischen Northern-Soul-Musikstils, der seit den späten 60ern so genannt wurde und dessen Anhänger im Norden Englands zum Beispiel im legendären Wigan Casino in der Grafschaft Manchester nächtelang zu Single-B-Seiten durchtanzten, in ihren eigenwilligen, durch viele Bodenkontakten, amüsant anzuschauende Pseudo-Karatetritte und Gummikniegelenke definierten Tanzschritten. Zwischen den für Northern-Soul-Laien völlig unbekannten Stücken hörte man in jenen nordenglischen Clubs Anfang der 70er öfter mal den Ruf „Right on now!“, der aus der schwarzen Bürgerrechtsbewegung stammt.
Denn das Northern-Soul-Logo ist tatsächlich eine solidarische Hommage an die wohl bekannteste Faust-Ikonografie: Die mit gesenktem Kopf nach oben gereckte Faust der Black Panther bei den Olympischen Sommerspielen 1968 in Mexiko. Die schwarzen Rennfahrer-Handschuhe, die Tommie Smith und John Carlos dabei trugen, begründen nicht nur die Farbe der original Northern-Soul-Faust, sondern gehörten auch zu so mancher Northern-Soul-Fankluft dazu.
Neben weiteren Fäusten in weiteren Bürger- und anderen Rechtebewegungen (auch im Frauenbewegungszeichen stakt eine Feministinnen-Faust) spielt die in Kopfhöhe vorgereckte Kampfhand eine herausragende Rolle beim sogenannten Knuckle Tattoo: Buchstaben, die auf die Haut über den ersten Fingergliedern geritzt werden, und beim Ballen der Hände dann sinnvolle oder sinnfreie Wörter für das Gegenüber ergeben. Wie bei vielen Tattoos darf man dabei die Absurdität der oft geäußerten Behauptung, man ließe sich „nur für sich selbst“ permanent pieksen, nicht unter den Tisch fallen lassen: Nie können diese Wörter vom Träger oder der Trägerin selbst gelesen werden (bezeihungsweise nur auf dem Kopf), genauso wenig, wie man das Einhorn auf der Schulter oder das Arschgeweih je in der nicht spiegelverkehrten Weise zu sehen bekommt.
Faust mit namenlosem Zauberschwert
(Was vor allem bei den ausgedachten Tribals eigentlich eh egal ist.) Beliebt und klassisch für das Knuckle-Tattoo sind bei Nutzung der vier dreigelenkigen Finger LOVE und HATE, man hat aber auch schon SLIM und FAST, GAME und OVER oder LEMO und NADE gesehen, unter Zuhilfenahme des Daumens kann man dem Gegenüber Dinge wie HELP ME LORD oder auch (persönlich bezeugt) GENE VINCENT verklickern, wobei die letzten beiden Buchstaben von „Vincent“ auf dem kleinen Finger der linken Hand des Rockabillys Platz finden mussten.
Im Kinderzimmer entdeckt man die geballte Faust fast ausschließlich an Actionfiguren.
Obwohl He-Man selbst, der wichtigste der „Masters of The Universe“, auf seinem ikonografischsten Bild die rechte Hand zwar in die Luft streckt, darin jedoch das namenlose Zauberschwert hält. In unterschiedlich hoch schwenkbare Fäuste enden dafür die muskelbepackten Plastikarme der Wrestler-Linie von Hasbro, die für absurden bis albernen Schaukampf unter langhaarigen eingeölten Zirkusrecken steht und jede Ideologie von sich weist.
Der Kampf um die Faust ist also noch lange nicht verloren.
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