■ Die iranische Reaktion auf das Mykonos-Urteil zeigt: Deutschland könnte mehr Einfluß nehmen, als behauptet: Das Ende des (un-)„kritischen“ Dialogs
Rufschädigender können sich Industrielle und ihre Mentoren in der Politik kaum verhalten. Das Berliner Kammergericht bescheinigt der iranischen Führung, bis in die oberste Führung mit Auftraggebern von Mördern besetzt zu sein, daß Terrorismus im Iran nicht das Projekt einiger weniger Fanatiker ist, sondern staatliches Programm. Und die Spitze der deutschen Industrie erklärt, das sei ihr schnurz. „In der Wirtschaft ist es eigentlich üblich, Moral und Politik und so weiter auseinanderzuhalten. Das bedeutet natürlich nicht, daß man Menschen- und Völkerrechtsverstöße gutheißen muß“, erklärt der Vorsitzende der Deutsch-Iranischen Handelskammer, Herbert Riedel. Der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) rät im Irangeschäft tätigen Unternehmen, ihre Geschäftskontakte wie bisher aufrechtzuerhalten; die Firmen sollten sich „nicht in politische Dinge hineinziehen lassen“. Bundesregierung und EU sollten in Sachen Iran an „mögliche wirtschaftliche Folgen“ denken, appelliert der Präsident des Bundesverbandes des Deutschen Groß- und Außenhandels, Michael Fuchs. Und der FDP-Lobbyist Jürgen Möllemann beleidigt gar ein deutsches Gericht: „Es kann nicht sein, daß ein Berliner Amtsrichter darüber entscheidet, wie Deutschland seine Außenpolitik gestaltet.“
Kürzlich hatte der Menschenrechtler Martin Forberg in der taz noch auf die Vernunft deutscher Unternehmer gehofft. „Derzeit sollten potentielle Investoren den Verantwortlichen im Iran erklären, daß größere Projekte erst verwirklicht werden können, wenn die Repression beendet ist.“ Begründung: „Stabilität, stets ein inniger Wunsch von Investoren, kann im Iran nur durch politische Liberalisierung erreicht werden.“
Doch so vorausschauend denken jene, die sich nun zu Wort meldeten, nicht. Es geht ihnen um die schnelle Mark – danach wird sich schon ein anderes Plätzchen auf der Erde finden, an dem sich (ähnlich risikoreich) investieren läßt. Und wenn nicht wir im Iran Geschäfte machen – so die Argumentation –, dann kommen die Russen, Chinesen und wahrscheinlich sogar die US-Amerikaner. Dabei würde ein kurzer Blick in die eigenen Bilanzen diesen Reflex ad absurdum führen: Die iranischen Handelsbilanzen weisen seit drei Jahren beständig nach unten. Deutsche Unternehmen, mit 15 Prozent an Irans Importen beteiligt und damit Handelspartner Nummer eins, verkauften dort im vergangenen Jahr nur noch Waren im Wert von 2,2 Milliarden Mark. 1992 waren es acht Milliarden. Die Gründe: massive Sparpolitik, mangelndes Wirtschaftsprogramm, verwirrende politische Verhältnisse in der Führung des Landes und Unruhen wie zuletzt der brutal beendete Streik Tausender Ölarbeiter Anfang 1997.
Der Iran ist derzeit alles andere als ein attraktiver Handelspartner. Neue Geschäftspartner werden sich genau überlegen, ob, wann und wie sie in den Markt einsteigen. Für die deutsche Industrie eigentlich eine angemessene Zeit, um sich risikolos Gedanken zu machen über ihre bisherigen Aktivitäten – und auch über Moral und den Ruf des Unternehmens. Das genaue Gegenteil also von dem, was Riedel, Möllemann & Co. nun an den Tag legen.
Dabei hat das Mykonos-Urteil auch einen Einblick in die inneren Mechanismen der iranischen Staatsführung erlaubt. Entgegen finsteren Prophezeihungen wurde in Teheran keine deutsche Botschaft gestürmt, keine deutsche Fahne verbrannt und schon gar nicht mit dem Abbruch der Wirtschaftsbeziehungen gedroht. Die iranische Führung – von Pragmatikern bis zu Hardlinern – verhielt sich moderat. Einige hundert bestellte Demonstranten zeterten vor der deutschen Botschaft wirres Zeug von „Faschismus“ und „Zionismus“. Nicht gerade ein Zeugnis von entfesseltem Volkszorn. Der in der Berliner Urteilsbegründung ausdrücklich, wenn auch nicht namentlich genannte Staatspräsident Rafsandschani bemühte zur Beschwichtigung Weisheiten aus der Wetterfibel: „Es ist wie nach einem Donnerschlag. Danach verziehen sich die Wolken, und der Himmel wird wieder heiter.“ Sein als Ultrakonservativer gehandelter wahrscheinlicher Nachfolger Ali Akbar Nateq Nuri sortierte die Bundesrepublik wieder aus dem Club der großen und kleinen Satane heraus: „Die Deutschen haben zwar recht unreif gehandelt. Dies bedeutet aber nicht, daß wir genauso unreif handeln werden und Deutschland mit den USA und den Zionisten auf die gleiche Stufe stellen.“ Und der de facto Hauptbeschuldigte des Mykonos-Prozesses, Irans Religiöser Führer Ali Akbar Chamenei, hielt lieber ganz den Mund. Ohnehin gilt der offiziell mächtigste Mann im Staat vielen IranerInnen als bläßliche Figur, den sein charismatischer Vorgänger Ajatollah Chomeini in ein Paar zu große Pantoffeln gestellt hat.
Die Reaktionen aus Teheran widerlegen die Kernthese des „kritischen Dialogs“: Daß die ach so sensiblen Mullahs auf offene Kritik eingeschnappt reagierten und alles nur noch schlimmer werde. Die letzten Tage haben gezeigt, daß in Teheran Pragmatiker wie Konservative zurückstecken, wenn sie merken, daß sie sonst überlebenswichtige Dinge gefährden. Selbst der außen- und wirtschaftspolitisch unerfahrene Nateq Nuri hat begriffen, daß er die Islamische Republik die nächsten vier Jahre nur regieren kann, wenn Geld ins Land kommt. Und weil von den USA nichts zu erwarten ist, die GUS- Staaten doch nicht die lukrativsten Geschäftspartner sind und Handelsabkommen mit Vietnam nur symbolischen Wert haben, bleibt nur Europa – allen voran Deutschland.
Diese starke Position eröffnet für deutsche Unternehmen die Möglichkeit der von Kinkel Ende 1996 feilgehaltenen „aktiven Einwirkung“. Doch die entpuppte sich nur als rhetorische Umwidmung des (un-)„kritischen Dialogs“. Die Wortführer in Deutschland scheinen ein ausgeprägtes Interesse daran zu haben, die längst überlebte Karikatur des fiesen Kapitalisten wiederzubeleben: als skrupelloser Geldsack. Dabei haben spätestens Brent Spar und der Fall Shell/Nigeria gezeigt, daß Unternehmen auch ein Interesse am Image haben sollten. Bleibt zu hoffen, daß sich nach Riedel & Co. weitsichtigere Unternehmer zu Wort melden. In den Führungsetagen von Mannesmann, Siemens, Daimler usw. sind Leute zu vermuten, die wissen, daß sie auf ihren Ruf achten müssen, weil sie ihre Produkte auch in Europa verkaufen wollen – an ein durch das Mykonos-Urteil hoffentlich sensibilisiertes Publikum, das weiß, daß es auch bei der Konkurrenz einkaufen kann. Thomas Dreger
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