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■ Die intellektuelle extreme Rechte ist an der deutschen Einheit gescheitert. Sie reproduziert hilfloses GestammelDie Neue Rechte im Aus

Warum ist der Rechtsextremismus in Deutschland so erfolglos, wo er doch eigentlich optimale Rahmenbedingungen vorfindet: Rund 15 Prozent der Bundesbürger verfügen über ein rechtsextremes Weltbild, wir stecken in der tiefsten ökonomischen Krise seit 1945, und die Unzufriedenheit mit den etablierten Politik ist groß. Mehr noch: Ein beachtlicher Teil des Problemhaushalts der Nation leistet der Rechten unmittelbar Vorschub: Ausländer, Asyl und Kriminalität – von der EU und dem Euro ganz zu schweigen.

Mit Ausnahme vielleicht der „Aktion Widerstand“, wo rechtsextreme Parteien in den frühen Siebzigern gemeinsam mit Teilen der Vertriebenenverbände, der Unionsparteien und der FDP die Ostpolitik der Regierung Brandt/ Scheel bekämpften, war der bundesdeutsche Rechtsextremismus dennoch zu keiner Zeit wirklich politikfähig. Allenfalls übte er kurzfristig Attraktivität auf breitere Wählerschichten aus, vermochte diese aber mangels eines klaren Programms und halbwegs respektabler Spitzenpolitiker nicht dauerhaft an sich zu binden. Die rechtsextremen Intellektuellen haben es zu keiner Zeit vermocht, den politischen Diskurs der Konservativen zu prägen. Diese hatten immer ihre eigenen Leute (Kaltenbrunner, Mohler, Rohrmoser, Schrenck-Notzing u.a.) und waren nicht auf Blutspenden von rechtsaußen angewiesen.

Eine politische Bewegung bzw. Partei ist in der Regel dann erfolgreich, wenn sie einen wichtigen gesellschaftlichen Konflikt oder eine Streitfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgreift und erfolgversprechende Lösungen anbietet. Der deutsche Rechtsextremismus rechtfertigte seine Existenz traditionell mit der „nationalen Frage“. Nach 1945 bedeutete das die Revision der Folgen des Zweiten Weltkriegs, die Wiederherstellung des Deutschen Reichs, die Verharmlosung des Nationalsozialismus und der Kampf gegen die Westintegration. Mit diesem Programm war seit dem Beginn der fünfziger Jahre kein Hund mehr hinter dem Ofen hervorzulocken. Die Mitte der sechziger Jahre einsetzende zweite Erfolgswelle des Rechtsextremismus (die erste datierte 1948–52) spülte die NPD nicht wegen ihres reichsdeutschen Programms vorübergehend in sieben Landesparlamente, und auch nicht weil sie so tapfer für eine bessere Vergangenheit kämpfte, sondern wegen der großen Koalition und der ersten (aus heutiger Sicht bescheidenen) Wirtschaftskrise in der Bundesrepublik.

Mittlerweile ist die „nationale Frage“ definitiv gelöst. Das Thema war dem Rechtsextremismus allerdings schon früher abhanden gekommen, und zwar mit der Vollendung der entspannungsorientierten Ostpolitik der sozialliberalen Koalition. Die extreme Rechte hat sich zwar nicht mit der Existenz zweier deutscher Staaten abgefunden, aber sie zog sich enttäuscht über die Haltung der „bürgerlichen“ Konservativen in die Schmollecke zurück und widmete sich seit Mitte der siebziger Jahre zwei anderen Themen: dem Revisionismus („Kriegsschuldlüge“, „Auschwitzlüge“) und der „Überfremdung“ durch Ausländer.

Als die „nationale Frage“ 1989/90 auf die Tagesordnung kam, zeigte sich der Rechtsextremismus hilflos und gelähmt. Mitte 1989 hatte er sich noch auf dem Zenit seiner dritten Erfolgswelle sonnen können (2 Millionen Stimmen bei der Europawahl), bis zur ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl im Oktober 1990 waren ihm die Hälfte seiner Anhänger weggelaufen. Man wußte damals nicht so recht, ob man in nationalen Jubel ausbrechen oder „Verrat!“ schreien sollte, weil nun die ehemaligen deutschen Ostgebiete definitiv futsch waren. Schlimmer noch: Die Einheit wurde von jenen zustande gebracht, denen der Rechtsextremismus stets Verrat an der nationalen Sache vorgeworfen hatte. Der Rechtsextremismus stürzte folglich in eine abgrundtiefe Existenzkrise. Die Fanatiker leugneten weiterhin trotzig die Kriegsschuld Deutschlands und den Holocaust, während sich einige wenige besonders aktivistisch orientierte Kämpfer zur „Volkstumsarbeit“ ins Gebiet Kaliningrad begaben.

Wer damals die rechtsextreme Presse aufmerksam verfolgte (ich tue mir dies seit fast 30 Jahren an), konnte mit großem Vergnügen miterleben, was Sprachlosigkeit bedeutet. Der gesamte ultrarechte Blätterwald einschließlich der gerade auch in der Linken zur „rechten taz“ hochgelobten „Jungen Freiheit“ schrieb unablässig an den ureigenen Themen vorbei. Die oft ebenfalls als „neue Rechte“ titulierten Zitelmann, Weißmann & Co (zumeist eher Konservative als Rechtsextremisten) besetzten nicht etwa den Einheitsdiskurs, sondern reproduzierten hilfloses Gestammel. Während sie noch davon träumten, wie das vor nationalem Selbstbewußtsein strotzende Deutschland stolz durch die Weltmeere segelt, war der ungeliebte Steuermann Helmut Kohl längst dabei, das Schiff fest in Brüssel zu vertäuen. Die intellektuelle (extreme) Rechte ist an der deutschen Einheit gescheitert. Und davon wird sie sich so bald nicht erholen.

Welche Themen verbleiben dem Rechtsextremismus? Er wird sich nach wie vor etwas lauter als die Unionsparteien darüber beklagen, daß der Geist in Deutschland links steht, daß hier zu viele Ausländer und Faulenzer leben, daß die Kriminalität zu hoch ist etc. Und er wird weiterhin behaupten, daß unsere (Groß-)Väter keine Verbrecher waren, daß Großbritannien mindestens genausoviel Schuld an der Entfesselung des Zweiten Weltkriegs trägt wie Deutschland und daß der Holocaust eigentlich gar nicht stattgefunden hat. Seine Anhänger werden auch künftig – wie gehabt – überwiegend CDU/CSU wählen, um eine linke Mehrheit zu verhindern.

Welche Zukunftsaussichten hat der Rechtsextremismus? Das entscheidende Problem auf dem Weg in das nächste Jahrtausend dürfte die Wertordnung der postindustriellen Gesellschaft sein. Im Zentrum des Modernisierungskonflikts wird die Frage stehen, ob wir eher eine sozial gerechte Zivilgesellschaft oder eher eine der Marktlogik folgende „Festung Europa“ anstreben. Dementsprechend werden sich die politischen Lager formieren. Abgesehen von seinem rassistischen und antieuropäischen Impetus hat der Rechtsextremismus zu diesem Problem nichts beizutragen. Daher dürfte er allenfalls gelegentlich bei Wahlen von der Unzufriedenheit der Modernisierungsverlierer profitieren. Die künftigen Eliten des neoliberal-autoritären Lagers werden kaum auf die Unterstützung der alten Rechten angewiesen sein. Richard Stöss

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