: Die im Dunklen leben
Mit einer strengen Ökonomie der filmischen Mittel: Die polnische Regisseurin Malgorzata Szumowska trotzt in ihrem Spielfilmdebüt „Glücklicher Mensch“, zu sehen am Sonntag im Metropolis, erfolgreich der barocken Schwere ihrer Geschichte
von CHRISTIANE MÜLLER-LOBECK
Wenn einen die Frau verlassen hat, kann man sich besaufen. So wie der dicke Nachbar in seinem Feinripp, der einen Wodka nach dem anderen kippt. Man kann auch einen Brief schreiben. Oder beides. Janek hilft ihm dabei, und ist bald selbst sternhagelvoll. Der erste Entwurf gerät reichlich derbe. Der zweite wird nach vielen Gläsern mehr schließlich für „schön“ befunden. In Wirklichkeit ist der Brief viel zu schwülstig. Es ist schwer, den richtigen Ton zu treffen, wenn es um Dramen geht. Malgorzata Szumowska hat es mit ihrem Film Glücklicher Mensch (Szczesliwy czlowiek) geschafft. Die Geschichte um den 30-jährigen Slacker Janek, der mit seiner arbeitslosen und schwer kranken Mutter Maria in Krakau in einer Bruchbude von Altbau wohnt, geriet ihr weder zu distanziert noch zu melodramatisch. Nach einer begeisterten Kritik in Variety wurde das Debüt der polnischen Filmemacherin inzwischen auf zahlreichen Festivals gezeigt. Man vergleicht sie bereits mit Kieslowski, und die Europäische Filmakademie wählte sie unter die Entdeckungen des Jahres 2001.
Mit einer strengen Ökonomie der filmischen Mittel trotzt Szumowska der barocken Schwere der Geschichte, zu der sie auch das Drehbuch schrieb. In langen Einstellungen beobachtet sie Janek und seine Mutter in ihrer Wohnung bei spärlichen Dialogen, die um Arbeitssuche kreisen und darum, ob er mit seiner „Schreiberei“ wohl jemals Geld verdienen werde, geschweige denn eine Freundin. Viele der Bilder des elliptischen Films sind ins Chiaroscuro getaucht, auch die von Marias Arztbesuchen. Und wie sie nach der Diagnose die Ärzte anfleht, den Sohn über ihren Lungenkrebs im Dunklen zu lassen, so bittet Janek die Halbgötter in Weiß, bloß der Mutter nichts von ihrem in wenigen Monaten bevorstehenden Tod zu erzählen. Die Ärzte jedoch setzen beide ins Bild – und lassen sie in dem Glauben, der jeweils andere habe keinen Schimmer vom ganzen Ausmaß der Katastrophe.
Jetzt wird Janek aktiv, die Mutter soll endlich glücklich werden, „ein Leben haben“. Eine Frau findet er auf der Straße. Sie rennt. Und beeindruckt davon, wie sie ihren Kopf wirft in einer rätselhaften Verzweiflung, folgt er ihr bis an den Arbeitsplatz am Fließband einer Keksfabrik. Marta heißt sie, ist bereits Mutter, das Kind ohne Vater wie er selbst, und Illusionen macht sich diese Frau bestimmt keine mehr. Doch das ist egal. Gleichgültig auch, dass der alte Freund inzwischen Anzüge und das Grinsen eines Haifischs trägt. Denn er hat einen Job für Janek: im Immobilienhandel. Dort trägt Janek nun dazu bei, dass seine eigenen Nachbarn gewaltsam aus ihren Wohnungen geräumt werden. „Was zählt, sind nur diese paar Monate“, wird Janek sich später verteidigen, als Marta ihn wütend zur Rede stellt.
Einem untersuchenden Blick auf die Gesichter der hervorragenden Darsteller, in die sich der Gram tief eingegraben hat, verstellt Szumowska immer wieder die Sicht. Entdeckungen müssen sich durch Plastiklamellen förmlich hindurchkämpfen, durch lange Grashalme, transparente Gardinen oder Perlenvorhänge, durch Gitterdraht und dreckige Scheiben.
Zu denen im Dunklen stellt Szumowska Menschen im Hellen, die Ärzte, aber mehr noch die Priester. In weißen Gewändern schwebt ein Gruppe von ihnen auf einem sonnigen Platz um einen Fußball herum. Die katholische Kirche kommt nicht gut weg in ihrem Film. Verloren, überwuchert und unbeachtet steht ein Bildstock mit Jesusfigur nahe den Bahngleisen. „Sind nicht Geburt und Tod einander sehr ähnlich“, versucht ein Priester Janek vergeblich zu trösten.
Nichts ist zu viel an dieser Parabel über Illusionen in Zeiten der Arbeitslosigkeit. Bis zu seinem Schluss, an dem der Film die Schraube von Glauben und Wissen, von Täuschung und Überraschung noch einmal ruckartig weiterdreht, ohne dass aus der nun doppelten Verneinung eine Bejahung würde und Janek und seine Mutter in derselben Realität ankommen könnten, begleitet die sparsamen Bilder eine sorgsam eingesetzte Musik. Sie fällt gerade dann abrupt in Stille, wenn viele andere Debütanten mit ihrer billigen Hilfe die Dramatik zum Tosen gebracht hätten.
Sonntag, 19 Uhr, Metropolis