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Die heile Welt der Turnväter

■ Beim Mammutkongreß „Menschen im Sport 2000“ sind die Zukunftsprobleme nur Marginalien

Die Nachricht vom großen Kongreß hatte Euphorie ausgelöst. Ein Autor der Zeitschrift Olympische Jugend sah bereits eine Mischung von „Woodstock und Wackersdorf, Kirchentagen und Sportjugend–Treffs“ auf sich zukommen. Was aus dieser Vision geworden ist, ließ sich dann bei der Eröffnung des dreitägigen Kongresses am Donnerstag beobachten, im großen Saal des monströsen Berliner ICC (Internationales Congress Centrum): vornehmlich ältere Herren in dunklen Anzügen und mit ebensolchen Krawatten; Wolfgang Amadeus Mozart (Allegro, Presto); Begrüßungsreden von DSB–Präsident Hans Hansen (“... Weg weisen ins nächste Jahrtausend“), dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (“... freue mich ... 750–Jahr– Feier“), dem Präsidenten des Landessportbundes, Manfred von Richthofen (“Wo liegt die Betonung: auf Mensch? Auf Sport? Auf 2000?“), dem Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker (“bescheidener Freizeitsportler“). Der Zürcher Philosophieprofessor Herrmann Lübbe entwarf das Bild von der positiven Zukunft des Sports: Frühe Rente und 35–Stundenwoche führen zu einem nie gekannten Maß an Freiheit; kein Medium taugt so sehr wie der Sport, Selbstverwirklichung zu üben; folglich ist „objektiv“ eine „blühende Sportkultur“ die einzige Antwort auf mehr Freiheit (er sagte nicht etwa: „mehr Freizeit“). Alles paletti also mit dem Sport? Nun, die Organisatoren betonen zwar vehement, daß dies „kein Krisenkongreß ist“, aber ebenso, daß sich die Gesellschaft „im Umbruch“ befinde und man sich damit auseinandersetzen müsse. Es sind ja nicht nur die ausbleibenden Erfolge der Spitzensportler und die neu entflammte Diskussion um das Doping nach dem Tod der Fünfkämpferin Birgit Dressel, die dem DSB Probleme bereiten. Schließlich sind davon nur einige tausend aktive Spitzensportler betroffen - von den 20 Millionen Mitgliedern, die in 64.000 Vereinen organisiert sind. Mindestens genauso viele Sorgen müßten den Sportoffiziellen die schleichenden Strukturveränderungen bereiten: Werbung und neue Medien investieren zwar im Sport, vertreten aber ihre eigenen Interessen. International diktieren längst die Geldgeber die Wettkampfbedingungen. Ohne Ehrenämter (rund zwei Millionen derzeit) sind Vereine und Verbände undenkbar, für das notwendig professionelle Management reichen sie aber nicht mehr aus. Wie sich das künftige Nebeneinander von bezahlter und unbezahlter Arbeit auf die Motivation der Funktionäre auswirkt, kann niemand sagen. Die Einheit des Sports bröckelt: Der Hochleistungssport mit seinen selbständigen Unternehmern und einfache Bewegungsspiele passen nicht länger zusammen (bezeichnenderweise zeigt der Deutsche Fußball–Bund kein Interesse am DSB–Kongreß). Gerichte und Umweltorganisationen setzen dem Wachstum des Sports immer mehr Grenzen, wo es um Lärmbelästigung und Landschaftsverbrauch geht. Die These von Kongreß–Organisator Prof. Ommo Grupe, „auch der Sport folgt der Wachstumsidee“, wird wohl nicht mehr lange Bestand haben. Für diese und andere Probleme erwartet sich der DSB vom „Menschen im Sport 2.000“, wenn schon keine Lösungen, so doch „richtungsweisende Anschübe“ (von Richthofen). Die Kritiker des Kongresses hingegen bezweifeln, daß es dazu kommen wird. Nicht etwa, weil wichtige Themen ausgeklammert wären, sondern wegen der Form, wie sie behandelt werden. Die meisten Beiträge sind vorformulierte Reden diverser Professoren, die „eine enge Beziehung zur Vereinspraxis“ (Prof. Grupe) herstellen wollen. Als basisdemokratische Errungenschaft wird die Einführung von Arbeitskreisen gefeiert. Die 1.900 Teilnehmer können zwischen 14 verschiedenen Themengruppen wählen. Wer allerdings dort reden wollte, mußte sein Statement bereits vor Wochen schriftlich einreichen, und selbst bei zügigem Vorlesen bleibt jedem Teilnehmer kaum eine Minute, um seinen Gedanken loszuwerden. Hat da die 81jährige Lieselotte Diem, einst an der Sporthochschule Köln tätig, nicht recht, wenn sie ihr Fernbleiben - als Re ferentin war sie ohnehin nicht geladen worden - so begründet: „Da sind lauter Funktionäre, die dasselbe reden, was sie schon immer geredet haben“? Doch es geht ja nicht nur ums Reden, sondern auch darum, sich „zu präsentieren“ (Generalsekretär Gieseler). Die pompöse Selbstdarstellung darf da schon mal eine knappe Million kosten (200.000 davon zahlen die Sponsoren Dresdner Bank, Adidas und Lufthansa; etwas mehr noch der Berliner Senat). Bei all der zweijährigen Planerei hätte man fast eine Kleinigkeit vergessen: Waren die Frauen vor 30 Jahren mit nur einem Achtel der MitgliederInnen noch eine zu vernachlässigende Restgröße im DSB, so hat man sich angesichts des heutigen Verhältnisses von nur noch 2:1 zugunsten der Männer gerade noch wenige Wochen vor Kongreßbeginn der Frauen erinnert. Ein Frauen–Forum wurde nachträglich ins Programm gehievt. Trotzdem blieb für Sylvia Schenk, Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des DSB, nach diesem Akt „schlechten Gewissens“ die Feststellung, daß für keines der 19 Referate des Kongresses eine Frau aus dem Bereich des Sports verantwortlich ist. Bei so viel Basisdemokratie und Diskussionsfreudigkeit darf dann nicht verwundern, daß ein Teilnehmer schon vor Kongreßbeginn am Donnerstag freudig beim Kaffee verkünden konnte, er habe die Ergebnisse seines Arbeitskreises bereits in schriftlicher Form vorliegen. Thömmes

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