: Die große Symphonie der Konzerne
Die drei größten Musiclabels, Bertelsmann, EMI und AOL Time Warner, richten eine gemeinsame Plattform zum Vertrieb von Musik über das Internet ein. Digitale Sicherungen sollen illegale Kopien verhindern – auch im demnächst kostenpflichtigen Peer-to-Peer-Netz von Napster
von RALPH LENGLER
Bertelsmanns Rechnung geht auf. Der Kooperationsvertrag des deutschen Konzerns mit dem Erzfeind Napster hatte die ganze Branche aufgeschreckt. Wenige Monate später schließen sich nun EMI und AOL TimeWarner der Strategie von Bertelsmann an. Die drei Riesen im weltweiten Musikgeschäft wollen unter dem Namen „MusicNet“ eine gemeinsame Plattform bilden, um ihre Produkte besser und kundengerechter und damit am Ende auch profitabler über das Internet zu vertreiben, als sie es bisher konnten.
Die Technik der Plattform wird von RealNetworks entwickelt. Ein für beliebige Anbieter verfügbarer, einheitlicher digitaler Kopierschutz soll das Urheberrecht schützen. Der Vertrieb der Hits soll jedoch keineswegs allein in der Hand der alliierten Konzerne bleiben: Der von Juni an kostenpflichtige Peer-to-Peer-Dienst Napster wird als Partner von Bertelsmann zu den ersten Lizenznehmern des Angebots von MusicNet gehören.
Ende der Konfrontation
Eric Scheirer, Marktforscher bei Forrester Research, kommentierte die Verkündung der Allianz denn auch umgehend als Zeichen einer Entwicklung, die nicht mehr rückgängig zu machen sei. „Die Dinge bewegen sich voran“, sagte Scheirer dem Onlinedienst c’net, der Konflikt zwischen der Musikindustrie und der neuen Technik der Peer-to-Peer-Netze werde zumindest „gemildert“.
In der Tat stehen sich Napster und der Dachverband der amerikanischen Plattenindustrie nur noch vor dem Gericht in San Francisco unverändert feindselig gegenüber. Für die führenden Unternehmen selbst wird der Rechtsstreit zunehmend uninteressant, die Fronten beginnen zu verschwimmen. Noch diesen Sommer wird auch die Napster-Community, freilich nur gegen Abonnementgebühren, ganz legal die musikalischen Archive ihrer Festplatten untereinander austauschen können und aus ihrem Netzwerk heraus ebenso legal auf Titellisten der drei Großen im Geschäft zugreifen.
Sowohl dieses Geschäftsmodell wie auch die technischen Formate der Musikdaten haben damit gute Chancen, zum Standard des Musikkonsums über das Internet zu werden. Auch Sony und Vivendi-Universal, die zwei verbleibenden im Quintett der Weltmarktführer, werden sich wohl oder übel dem Trio unter „NetMusic“ anschließen müssen. Noch im Februar hatten die beiden Konzerne angekündigt, ihr Repertoire in einer eigenen Peer-to-Peer-Tauschbörse vertreiben zu wollen.
Ob dieser Plan heute noch weiterverfolgt wird, ist überaus zweifelhaft. Denn inzwischen ist bekannt geworden, dass auch Verhandlungen zwischen Vivendi und Bertelsmann über eine gegenseitige Lizenzierung ihres Angebots schon weit fortgeschritten sind. Dies könnte bedeuten, dass zum Starttermin des neuen MusicNet 85 Prozent aller zurzeit gehandelten Musiktitel über diese neue Plattform verfügbar sein könnten.
Offen bleibt indessen weiterhin, ob es der Musikindustrie mit ihrer neuen Strategie wirklich gelingt, die Bedürfnisse der Napster-Community zu befriedigen. Die Tatsache, dass RealNetworks CEO Rob Glaser Vorstandsvorsitzender von MusicNet werden wird, lässt darauf schließen, dass Subskriptionsdienste angeboten werden sollen, die es dem Benutzer unmöglich machen, die Musik aus dem Netz in ein anderes digitales Format zu übertragen – etwa auf CD zu brennen oder auf einen portablen MP3-Player zu kopieren.
Genährt wird diese Befürchtung zudem durch die Ankündigung von MusicNet, dass noch vor Napster die Abonnementdienste von RealNetworks und AOL eingerichtet werden sollen – offenbar ein Versuch, Napster mit einem gut sortierten Konkurrenzangebot auszutrocknen, noch bevor das mit Bertelsmann ausgehandelte Abonnementsmodell freigeschaltet wird.
Neue Gesetze
Mit technischen Beschränkungen und vergleichsweise günstigen Abonnements wird sich die Napster-Gemeinde vermutlich ohnehin nicht zufrieden geben. Napster-Chef Hank Barry hat zwar die Entscheidung des Bezirksgerichts von San Francisco akzeptiert. Ein Filtersystem sperrt inzwischen alle Dateien, die von der Musikindustrie als urheberrechtlich geschützt gemeldet werden, von der zentralen Datenbank der Firma aus. Dort werden freilich nur die Namen der Daten angezeigt, unter denen sie auf den Festplatten der Netz-User abgelegt sind – und diese Dateinamen müssen keineswegs mit den geschützten Titeln übereinstimmen, die sich dahinter verbergen: Ein Katz-und-Maus-Spiel, das der Dachverband nunmehr mit einem weiteres Prozess unterbinden möchte.
Barry selbst geht einen anderen Weg. Er fordert vom US-amerikanischen Kongress die Verabschiedung eines Gesetzes, das die Betreiber von Peer-to-Peer-Netzen den Radiosendern gleichstellt. Das würde bedeuten, dass auch Anbieter solcher Dienste Musik verbreiten dürfen, ohne von ihren Empfängern dafür jedes Mal Gebühren kassieren zu müssen.
Am Dienstag dieser Woche, nur einen Tag nach der Verkündung der Allianz von MuiscNet, fand ein erstes Hearing vor dem amerikanischen Kongress zu dieser Frage statt. In den Tagen davor hatte Napster Konzerte und Teach-ins veranstaltet, um die Abgeordneten im Kongress von einer solchen Reform des geltenden Urheberrechts zu überzeugen. Stars wie Alanis Morissette traten als Zeugen auf, gewannen selbstredend die Sympathien des Publikums und beschuldigten die Musikindustrie der schlichten Falschinformation: „Mein ursprünglicher Widerstand“, sagte Morissette, „gegen die neuen Online-Dienste beruhte darauf, dass sie von den Labels als Musikpiraten bezeichnet wurden. Doch je länger, desto mehr kam ich zur Einsicht, dass sich diese Art der Piraterie für die Mehrzahl der Künstler zu ihrem Vorteil ausgewirkt hat.“
Die große Mehrheit der Redner auf dem Hearing war sich einig, dass ganze Musikkataloge, und in einer späteren Phase auch Filme, ins Internet gebracht werden sollten, um sie einem breiten Publikum verfügbar zu machen.
Die Macht der User
Die Entwicklung ist nicht mehr aufzuhalten, die Forderung nach neuen gesetzlichen Regelungen des Urheberrechts überfällig. Musik, Bücher und bald auch Filme werden zwar weiterhin von professionellen Unternehmen produziert. Aber man wird sie nie mehr nur im Laden kaufen oder im Netz lediglich online bestellen können. Sie werden in Zukunft im Netz selbst verfügbar sein müssen, ob nun unter der Regie der Medienunternehmen oder – wie Napster es allen vorgemacht hat – unter der Regie der User.
Auch Microsoft ist aufgewacht. Unter dem Decknamen „Hailstorm“ (Hagelsturm) kündigte das Unternehmen an, ebenfalls eine eigene Plattform zur Verbreitung aller möglichen urheberrechtlich geschützten Inhalte entwickeln zu wollen – natürlich haustypisch verbunden nicht nur mit kostenpflichtigen Abonnementdiensten aller Art, sondern auch mit einer eigenen Software, die dem Windows-Monopolisten in jedem Fall Geld in die Kasse spielen soll.
Ob aber die Strategie, die bei Windows zum Erfolg führte, noch einmal aufgehen wird, bezweifeln indessen sowohl Techniker wie Marktforscher. Die Frage nämlich, die auf dem Hearing unbeantwortet blieb, lautet, ob inzwischen nicht nur Microsoft, sondern bereits jedes Modell der unmittelbaren Vermarktung von Inhalten im Internet viel zu spät kommt. Seit dem Start Napsters sind zwei Jahre vergangen. In dieser Zeit hat sich die Usergemeinde daran gewöhnt, dass sie für die Musik, die sie untereinander tauscht, nichts zu bezahlen hat. Ob diese Community auf einmal bereit ist, Gebühren zu akzeptieren für Vorteile, die bisang lediglich versprochen, aber keinesweg nachgewiesen worden sind, wagt heute noch niemand vorauszusagen. Napster mag zwar unter die Kontrolle der Konzerne geraten sein, doch andere Peer-to-Peer-Netzwerke, die über keine zentrale Datenbank verfügen, könnten die Rolle des Pioniers übernehmen.
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