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Archiv-Artikel

nebensachen aus tuzla Die geplatzte Ferienreise oder der steinige Weg zur Adria

Das hatte sich Bekim schön ausgedacht. Vor Monaten war der Mittzwanziger aus der ostbosnischen Stadt Tuzla auf die Idee gekommen, mit einigen Freunden an die kroatische Küste zu fahren. Er war es leid, jedes Jahr den Urlaub mit der Familie im Ferienhaus am See bei Tuzla zu verbringen, das die Tante schon vor dem Krieg gekauft hatte.

Schließlich hatte er nach dem juristischen Staatsexamen im vorigen Jahr jetzt auch das Examen in Englisch bestanden. Mit einer Supernote. Das muss gefeiert werden. In der Runde des Cafés im Zentrum, wo sich der Freundeskreis fast täglich trifft, stieß sein Vorschlag auf Interesse. Denn allein fahren BosnierInnen ungern weg. Am liebsten verbringen sie den Urlaub mit vertrauten Gesichtern. Man will ja Spaß haben. Sanja, Ivana und Boris waren gleich Feuer und Flamme für die Idee. Sanja versprach, das Viermannzelt ihres Vaters zu organisieren, Boris wollte das Autos seines Bruders ausleihen.

Alles schien geregelt zu sein. Doch wenige Tage vor der geplanten Abfahrt tauchten Hindernisse auf. Plötzlich brauchte Sanjas Familie das Zelt selbst. Die 23-Jährige schämte sich, zum Café zu kommen. Sie entschuldigte sich nur telefonisch. Natürlich witzelten einige der Freunde, Sanjas Eltern hätten kalte Füße bekommen. Zwei Jungs und zwei Mädchen in einem Zelt, das ginge doch zu weit. Auch Boris machte einen Rückzieher. Der Bruder wollte plötzlich selbst wegfahren. Und Ivana mäkelte am Reiseziel Kroatien herum.

Nur Bekim versuchte noch, die Gruppe zusammenzuhalten und via Internet eine Ferienwohnung anzumieten. Schließlich verdient er als Jurist bei der bosnischen Telecom kein schlechtes Geld. Doch alle anderen hielten sich bedeckt. Was war nur mit den Freunden los?

Schließlich führte die angehende Lehrerin Ivana, die aus einer serbischen Familie stammt, an, sie befürchte, in Kroatien als Serbin beschimpft zu werden. In Tuzla selbst spielen nationale Zuordnungen keine Rolle. Hier hielt die multikulturelle Gesellschaft selbst während des Krieges zusammen. Bekim ist halb Muslim, halb Serbe, Boris stammt aus einer kroatisch-serbischen Familie, nur Sanja ist rein muslimisch.

Sanja brach schließlich in Tränen aus und offenbarte den wahren Grund für ihr Verhalten. Seit fünf Monaten arbeitete sie schon als Betriebswirtin in einer kleinen Firma. „Ich habe bisher keinen Lohn erhalten, nur 300 Mark Abschlag für die ganze Zeit.“ Versprochen waren 500 Konvertible Mark monatlich, dazu Essensgeld und die Fahrkosten. Sie habe keinen Pfennig in der Tasche, klagte sie. Und jetzt gab auch Ivana zu, nicht der Nationalismus, sondern die klamme Kasse sei der Grund für ihren Rückzieher.

Selbst der sportliche und unternehmungslustige Boris musste passen. Seit dem Abschluss seines Chemiestudiums bemüht er sich vergeblich um einen Job. Die Chemiefirmen in Tuzla, die früher einmal 20.000 Menschen beschäftigten, sind elf Jahre nach dem Krieg immer noch nicht auf die Beine gekommen.

So muss Bekim allein fahren. Eine alte Freundin der Familie ist von Tuzla an die kroatische Küste gezogen, hat in Vodice ein Haus gebaut und vermietet Zimmer vor allem an junge Leute aus ganz Exjugoslawien. 10 Euro kostet das Bett, für ihn ist es umsonst. Jetzt kann er doch jemand mitnehmen. Dann würde er für sich bezahlen und Boris, Ivana oder Sanja umsonst wohnen lassen.

ERICH RATHFELDER