: Die fleißigen Streicher
Bonner Streicher fühlen sich schlecht behandelt, weilsie mehr arbeiten müssen als ihre Kollegen, die Bläser
An manchem Opernabend ist das Geschehen im Orchester spannender als die Handlung auf der Bühne. Kaum haben die Blechbläser ihre wenigen Takte zu Beginn des letzten Aktes lustlos heruntergespielt, da huschen sie schon aus dem Graben – und lassen das Publikum mit der bangen Frage zurück, ob das schmetternde Finale wohl ausfallen muss. Erst in letzter Sekunde eilen Trompeter oder Posaunisten zu ihren Plätzen zurück.
Während die Bläser rauchen, trinken oder auf die Toilette gehen, müssen die Kollegen an Geige oder Cello brav im Orchestergraben ausharren. Sie haben kaum eine Gelegenheit, den Bogen auch nur für wenige Sekunden abzusetzen. Das ist ungerecht, finden 16 Streicher des Beethoven-Orchesters Bonn. Heute verhandelt das örtliche Arbeitsgericht über ihre Klage auf Gleichbehandlung. Freilich richtet sich der Zorn nicht gegen die Komponisten, die ihre Noten so ungleich verteilten – sondern ganz profan gegen den Arbeitgeber, der die Zahl der Planstellen im Bonner Orchester von 120 auf 106 verringerte. Seither müssen die Streicher, die sich ihre Dienste bislang teilten, deutlich länger arbeiten als früher.
Nicht mal die Gewerkschaft der Orchestermusiker, die sonst so eifrig gegen Sozialdumping am Notenpult zu Felde zieht, zeigt diesmal für das Anliegen Verständnis. Zu groß erscheint die Gefahr, dass der Prozess ein Schlaglicht auf die Privilegien der Instrumentalisten wirft. Denn die angeblich so skandalöse Mehrbelastung besteht eigentlich nur darin, dass die Geiger ihre tariflichen Verpflichtungen jetzt wirklich voll erfüllen – während die Bläser fürs gleiche Gehalt nur halb so viel arbeiten. Auch von „Kulturabbau“ kann in Bonn kaum die Rede sein, wird die Orchestergröße doch lediglich vom Niveau eines Regierungssitzes auf das Normalmaß einer Stadt von 300.000 Einwohnern zurückgefahren.
Nach öffentlicher Kritik haben die Bonner Streicher ihre Forderung zurückgezogen, für die zusätzlichen Noten besser bezahlt zu werden. Jetzt geht es nur noch um die Arbeitszeit. Vielleicht sollte das Gericht ja einfach eine Präsenzpflicht für alle Instrumentalisten einführen. Damit Publikum und Dirigenten nicht mehr zittern müssen. RAB