Die erfolglosen Spitzenpolitiker fürchten sich vor dem Parteitag: Grüne Trampeligkeit
Hat Rot-Grün dazugelernt? Nach den Monaten der Schelte bekamen die Regierungsparteien unverhofft eine zweite Chance geschenkt. Monatelang war das Empörungspotenzial der Republik durch die CDU-Affäre voll ausgelastet – über die Koalition regte sich niemand groß auf. In aller Ruhe also hätten SPD und Grüne aus den Fehlern ihrer Anfangszeit lernen können: Pannen vermeiden, Konzepte entwickeln, Lösungen vorlegen. Wenn sich jetzt die Grünen um eine Verschiebung ihres Parteitags streiten, weckt das den Verdacht: Auch die zweite Chance werden sie vergeben.
Monatelang war der Parteitag in Karlsruhe als Signal für den Aufbruch angekündigt worden. Wenn ihn der Bundesvorstand drei Tage vor einer schwierigen Landtagswahl selbst in Frage stellt, ist das politische Trampeligkeit. Mit dem Streit holt sich die Partei wieder den alten Chaosvorwurf an den Hals.
Dabei handelt es sich nur vordergründig um ein PR-Problem. Hinter dem Unvermögen, die Parteitagsdebatte unter dem Deckel zu halten, steht das Unvermögen, der Basis in Karlsruhe vernünftige Ergebnisse zu präsentieren.
Zwar glaubt die Grünen-Spitze, mit Gerhard Schröder sei auch ein Atomausstieg per Gesetzeszwang möglich. Aber in den Verhandlungen mit der Industrie wurde so lange gebummelt, dass bis zum Parteitag der Ausstieg weder im Konsens noch im Dissens zu schaffen ist. Drei Wochen vor der Veranstaltung stellt die grüne Führung nun fest, dass sie ohne greifbare Ergebnisse vor ihre Mitglieder treten wird.
Der Atomstreit gefährdet auch die geplante Parteireform, das zweite zentrale Thema in Karlsruhe. Für die vorgesehene Stärkung der Führungsspitze kann sich die Basis ohnehin bloß schwer erwärmen. Um die dafür notwendige Zweidrittelmehrheit zu mobilisieren, muss der Bundesvorstand die Delegierten in gute Laune versetzen. Das ist im Moment denkbar schwierig. In der Konsequenz könnten die Gegner der eigentlich sinnvollen Strukturreform Auftrieb erhalten.
Will sich die Partei aus dem Dilemma vor Karlsruhe befreien, braucht sie einen Retter in der Not. Nach Lage der Dinge – und peinlich genug – kann der nur Gerhard Schröder heißen. Um den Koalitionspartner bei Kräften zu halten, muss er eines seiner sonst so ungeliebten Machtworte sprechen – und die Konzerne im Eilverfahren zum Ausstieg vergattern.
Patrik Schwarz
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