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Die dunkle Seite der Sonne

Immer mehr Menschen erkranken an Hautkrebs. Kinder sollen die Sonne meiden  ■ Von Wiebke Rögener

Würden Sie sich oder Ihre Kinder freiwillig einer Überdosis von Strahlen aussetzen, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Krebs auslösen? Die Frage scheint absurd. Doch obwohl Umfragen zufolge die meisten Menschen wissen, daß Sonnenbrände das Hautkrebsrisiko erhöhen, möchten sie auf die Urlaubsbräune nicht verzichten. Die Sehnsucht nach südlicher Sonne schlägt sich daher nicht nur in den Bilanzen der Reiseveranstalter nieder, sondern auch in den Krebsstatistiken.

Hautkrebs ist inzwischen in Deutschland nach Brust- und Lungenkrebs die häufigste Tumorerkrankung. Die Tendenz ist hier wie in allen Industrieländern mit hellhäutiger Bevölkerung steigend. Grund genug für die Europäische Kommission, Hautkrebs zum zentralen Thema der diesjährigen Woche gegen den Krebs zu machen. Auftaktveranstaltung war der internationale Kongreß „Hautkrebs und UV-Strahlung“ Anfang Oktober in Bochum.

Kein anderer Tumor ist so leicht aufzuspüren – schließlich entwickelt er sich gut sichtbar an der Körperoberfläche. Wird er frühzeitig erkannt, ist er mit einer kleinen Operation leicht entfernt. Fatal ist jedoch seine Ähnlichkeit mit harmlosen Muttermalen. Und gerade Menschen mit zahlreichen Pigmentflecken haben ein erhöhtes Risiko, an der bösartigsten Form, dem Malignen Melanom, zu erkranken. Erreicht es eine Dicke von mehr als 0,8 mm, haben sich auch meist schon Metastasen gebildet.

Früherkennung kann das Leben retten

Für eine Behandlung ist es dann oft zu spät. Medikamente, beispielsweise Interferon, können zwar in einigen Fällen die symptomfreie Phase verlängern, nicht aber die Überlebenszeit der am „schwarzen Krebs“ Erkrankten. Mit Hautkrebs ist daher kaum Geld zu verdienen, für die Pharmaindustrie ist er höchst unattraktiv. Vage Hoffnungen setzen einige Wissenschaftler auf die somatische Gentherapie, doch umsetzbare Konzepte sind nicht in Sicht.

So lag der Schwerpunkt des Kongresses auf der Vorbeugung und Früherkennung. Im Rahmen der Kampagne „Rette Deine Haut“ ließen sich in Nordrhein- Westfalen mehr als 30.000 Menschen auf verdächtige Hautveränderungen untersuchen. Bei etwa jedem vierzigsten wurden Hauttumore gefunden. Die Kosten des Screenings betrugen pro entdecktem Hautkrebsfall nur 4.000 Mark, weitaus weniger als die Behandlungskosten bei fortgeschrittener Erkrankung. Die Überlebenschance des einzelnen sind durch die Früherkennung gewachsen. Dennoch sterben heute in den Industrieländern mehr Menschen am Hautkrebs als jemals zuvor, da die Zahl der Neuerkrankungen jährlich um drei bis sieben Prozent steigt.

Von vielen Vortragenden wurde die unzureichende statistische Erfassung von Hautkrebserkrankungen beklagt. „Ein maximal unterentwickeltes Gebiet“, meinte Hoffmann. Krebsregister und Todesfallstatistik seien alles andere als zuverlässig. „Das macht es dann sehr schwer, unsere Politiker davon zu überzeugen, wie groß das Problem tatsächlich geworden ist.“ Für die Hautkrebsprävention steht von der öffentlichen Hand in Deutschland weniger Geld zur Verfügung als in allen anderen vergleichbaren Industriestaaten.

Besser noch als die frühzeitige Erkennung ist die Vermeidung von Hautschäden durch ultraviolette Strahlung. Dieser unsichtbare Teil des Sonnenlichts verändert das Erbmaterial in den Hautzellen und setzt die Abwehrkräfte herab. Werden die Defekte vom Körper nicht vollständig repariert, summieren sich solche Ereignisse.

Schwindende Ozonschicht fördert Krebsentstehung

Vor allem Sonnenbrände in der Kindheit erhöhen das Risiko. Dies belegt eine Studie aus Australien: 30 bis 50 von 100.000 Einwohnern erkranken dort jährlich neu an Hautkrebs, etwa dreimal so viele wie in Europa. Wer aus weniger sonnenverwöhnten Weltregionen erst nach dem 15. Lebensjahr einwandert, hat dagegen ein deutlich geringeres Risiko. Ausschlaggebend ist offenbar die vor diesem Alter erhaltene UV-Dosis.

Mittlerweile zeigen Aufklärungskampagnen Wirkung: Australische Kids wissen sich mit Hut, Hemd und Sonnencreme weitaus besser vor der Sonne zu schützen als ihre europäischen Altersgenossen, ergab eine Untersuchung der britischen Wissenschaftlerin Julia Newton Bishop.

Für die Zukunft befürchten die Wissenschaftler einen weiteren Anstieg aufgrund der dünner werdenden Ozonschicht. Bei nur ein Prozent weniger Ozon ist eine Zunahme der Neuerkrankungen am Malignen Melanom um vier Prozent zu erwarten. Vom Ozonloch war jedoch in Bochum kaum die Rede. Daher die Frage an den Dermatologen Klaus Hoffmann: Warum wurde dieses Thema nicht stärker berücksichtigt? Hoffmann: „Der Kongreß dient vor allem der Fortbildung der Ärzte. Da läßt sich dieses unbestreitbare Problem nicht mehr unterbringen. Drei, vier Vorträge zum Bereich Klima und Umwelt, das muß genügen.“ Angesichts einer Gesamtzahl von mehr als 150 Referaten eine bescheidene Gewichtung.

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