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Die digitale Welt treibt Künstler umEin Gefühl des Unentrinnbaren

In Utrecht nehmen Künstler die Kontrollgesellschaft der neuen Medien und sozialen Netzwerke aufs Korn: auf der Ausstellung „Hacking Habitat“.

Stanza nennt seine Modellstadt aus Rechnern „Nemesis Machine – From Metropolis to Ecumenopolis“, 2016, Foto: Stanza

„Sie können uns nicht zwingen, das San-Bernardino-iPhone zu hacken.“ Der Satz, mit dem Apple-Chef Tim Cook sich kürzlich weigerte, verschlüsselte Daten für das FBI zu entsperren, hat es in sich. Das Betriebsgeheimnis des umstrittenen Softwarekonzerns könnte uns vielleicht noch egal sein. Die Gefahr für die informationelle Selbstbestimmung von Millionen von Usern eher nicht. Der Streit, den Apple vor Gericht gewann (das FBI knackte das iPhone aber doch), belegt, wie die einst subversive Tätigkeit von ein paar Nerds zur zentralen Kategorie der (Netz-)Gesellschaft avanciert ist.

„Hacking Habitat“, eine internationale Kunstausstellung im niederländischen Utrecht, verfolgt die zentrale Idee, dass „Hightechsysteme unser Leben unter Kontrolle gebracht“ haben und zum zentralen Bestandteil unseres alltäglichen Lebens geworden sind. Der Beweis dafür wird uns mit jeder neuen App quasi frei Haus geliefert. Die künstlerische Aufarbeitung eines sozialen Konfliktfeldes allererster Rangordnung war also mehr als überfällig.

Die Utrechter Kuratorin Ine Gevers, Jahrgang 1960, ist eine Spezialistin für Themen jenseits des Mainstreams, „Niet normaal“ hieß eine Ausstellung von ihr 2010. Werke von 85 internationalen KünstlerInnen hat sie für ihr jüngstes Projekt versammelt. Darunter Größen wie William Kentridge, Joseph Beuys oder Harun Farocki.

Angstthema schlechthin

Hacking Habitat

"Hacking Habitat" ist noch bis zum 5. Juni, Utrecht, Gefängnis Wolvenplein, zu sehen (Mi - So 10 - 18 Uhr). Katalog (Stichting) 29,90 Euro

Und wo ließe sich die Idee, dass wir einer allumfassenden Kontrollgesellschaft ausgeliefert sind, besser visualisieren als in einem Knast? Das Utrechter Gefängnis Wolvenplein, 1865 auf den Resten der alten Stadtmauer Utrechts nach dem Vorbild von Jeremy Benthams legendärem Zentralgefängnis erbaut und 2014 endgültig aufgegeben, ist der ideale Schauplatz für Gevers’ Vorstellung von der alles beherrschenden Kraft des „neuen Panoptikums“: dem unentrinnbaren Kreislauf der Netzwerke, Systemprotokolle und Algorithmen.

Wie sehr die Verheißung einer neuen Utopie in Gestalt des Internets zum Angstthema schlechthin geworden ist, zeigt sich, sobald man das Gefängnis betritt. Der argentinische Künstler Eduardo Basualdo hat einen riesigen schwarzen Ballon in der Form eines verschrumpelten Globus in das Foyer gehängt. Das könnte die schwarze Negativform der unschuldigen weißen Datenwolke sein, die uns digitale Schwerelosigkeit verspricht, in Wahrheit aber überwacht.

So arbeitet man sich von Aram Bartholls Netzwerk „Dead Drops“ aus in die Wand eingelassenen USB-Sticks zu den „Camera Birds“ des niederländischen Duos Front 404 vor: Vögel, die statt eines Kopfes eine Kamera tragen. Jedes Werk ist eingepfercht in die kaum drei Quadratmeter großen Zellen, Stahlabort und Zellen-Sichtfenster inklusive.

Modell einer Stadt

Überall wird sichtbar, wie sehr die Künstler das Entstehen der schönen neuen Kontroll-Welt umtreibt. Ob man nun die „Nemesis Machine“ des britischen Künstlers Stanza nimmt, mit der er die Gesamtheit der Datenströme thematisiert: Solche aus Überwachungskameras, von Wettermessungen oder dem Verkehrsaufkommen in London in Echtzeit überträgt er in sein aus Computerbauteilen errichtetes Modell der Stadt.

Oder ob man sich von der Recherche seines Landsmanns Timo Arnall faszinieren lässt. „Internet Machine“ heißt dessen sechsminütiger Kurzfilm, in dem er sich auf einen Streifzug durch das 65.700 Quadratmeter große unterirdische Speicherzentrum der spanischen Telefónica in Alcalá, 35 Kilometer nordöstlich von Madrid, begibt.

Back-up, dieselbetrieben

Die Bilder der riesigen Rechner oder der gelben, dieselbetriebenen Back-up-Generatoren, die den Betrieb bei Stromausfall aufrechterhalten sollen, destruieren lautlos, aber unaufdringlich den Mythos der Cloud, die das Immaterielle der digitalen Welt suggeriert.

Das Problem von Gevers’ Ausstellung ist, dass sie mit der Metapher des Gefängnisses und ihrer Warnung vor der „samtenen Diktatur“ dem ambitionierten Parcours ein reichlich kulturpessimistisches Gefühl des Unentrinnbaren unterlegt. Zumal die Beispiele für das, was sie in einer eigenen Abteilung „Violence and its counterstrikes“ nennt, nicht gerade überzeugend, um nicht zu sagen hilflos sind.

Die US-Künstlerin Susan Hiller hat in einem Raum mit Jukebox und Songbooks eine „Die Gedanken sind frei“ betitelte Sammlung von Freiheitsliedern zusammengetragen. Und das niederländische Kunstkollektiv Circus Engelbregt will den Menschen mit Workshops wieder so etwas wie „Intuitieve Mensbenadering – Intuitive menschliche Annäherung“ ermöglichen: Antidigitaler Ringelpietz mit Anfassen gegen die NSA?

Verbergen unter Pixeln

Überzeugender erscheint da noch das Projekt „Error404“ einer cleveren Studentengruppe aus Utrecht. Mit dieser, nach der berühmten „Not found“-Irrtumsmeldung im Internet benannten „Scrambler App“ können Facebook-User die Texte und Bilder zu verpixelten, bunten Mosaiken auflösen, von denen sie nicht wünschen, dass das Netzwerk sie identifizieren kann. Nur der jeweilige Adressat kann sie mit der App wieder lesbar machen. Von dieser Counter-Hack-Art könnte sich selbst der vermeintlich große Freund der User, Apple, noch eine Scheibe abschneiden.

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