■ Die deutsch-tschechische Erklärung soll noch 1996 kommen: Der Durchbruch?
Man reibt sich die Augen. Der deutsche Bundeskanzler ist aufgewacht und erklärt die deutsch-tschechischen Beziehungen zu einer wichtigen Angelegenheit. Jetzt sei der richtige Zeitpunkt da. Sogar der Vergleich mit den Beziehungen zu Polen ist ihm eingefallen. Nun also keine gequälten, halbherzigen Nuschelsätze mehr, wie wir sie seit Jahren aus seinem Munde hörten, sondern das klare Wort, daß die deutsch- tschechische Erklärung, von der jeder spricht und deren Entwurf kaum jemand wirklich kennt, noch in diesem Jahr unterzeichnet werden solle?
Vielleicht brachte allein der Umstand, daß sich der Kanzler überhaupt des Themas wie von selbst annahm, den tschechischen Botschafter in Bonn, Jiři Gruša, zu der möglicherweise voreiligen Feststellung, daß dies der „Durchbruch“ sei. Nach so vielen Jahren deutscher Ignoranz kann man ihn verstehen. Doch was auf den ersten Blick wie des Kanzlers Entschlossenheit aussieht, könnte sich nämlich ebenso als Schachzug erweisen. Indem er so tut, als wünschte nun sogar er selbst die „Deklaration“, könnte Kohl später ihr Scheitern Prag zuschieben.
Denn gerade Kohls Feststellung, daß die gemeinsame Erklärung noch nicht ganz fertig sei, bildet ein neues Problem. In Prag fragt man sich erstaunt, was eigentlich noch nachverhandelt werden soll. In letzter Zeit war sogar aus Kinkels Ministerium zu hören, daß der vereinbarte Text nur dank einer erstaunlichen tschechischen Kompromißbereitschaft bezüglich der Vertreibung der Deutschen zustande kam.
Was allerdings von keiner tschechischen Regierung erwartet werden kann, ist, was die selbsternannten sudetendeutschen Berufsvertriebenen gern durchsetzen möchten: eine Formulierung, die ihnen ermöglicht, sich gegenüber der Tschechischen Republik eigentumsrechtliche Ansprüche vorzubehalten. Dies müßte eigentlich in Deutschland verstanden werden, wo im Zuge der deutsch-deutschen Einigung die Enteignungen der sowjetischen Besatzungsmacht zwischen 1945 und 1948 heute rechtlich gültig sind.
Bei diesem Thema geht es jedoch nicht nur um den sozialen und politischen Frieden in Tschechien und um die selbstverständliche Pflicht einer souveränen Regierung in Prag, diesen zu beschützen. Auf dem Prüfstand steht auch die Frage, ob die in Bonn immer wieder beteuerte Einsicht, daß die Katastrophe des deutschen Volkes mit einer beispiellosen Aggression gegen die Nachbarn begann, mehr als nur Lippenbekenntnisse ist. Richard Szklorz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen