piwik no script img

Die bange Frage nach dem Wohin

■ In Berlin stellte sich OHR-Stellvertreter Steiner Bosniern. Behutsame und würdevolle Rückkehr verlangt

Berlin (taz) – Es war ein kurzer, virtueller Ausflug in die Heimat, den ihnen der Mann auf dem Podium bot – eine Achterbahnfahrt zwischen kleinen Hoffnungsschimmern und gigantischen Hindernissen. Hunderte von bosnischen Kriegsflüchtlingen drängten sich am Samstag in der Kirche zum Heiligen Kreuz, die längst eine Institution der Flüchtlingshilfe in Berlin geworden ist. Viele hatten die Ausreiseaufforderung der Ausländerbehörde in der Tasche und warteten nur auf eines: ans Mikrofon zu kommen und den Mann zu fragen: „Wo soll ich hin?“ Michael Steiner, Stellvertreter des Hohen Repräsentanten für den zivilen Wiederaufbau in Bosnien- Herzegowina (OHR) in Sarajevo, hatte bei seinem Kurzbesuch vor allem von jener Sisyphusarbeit des Wiederaufbaus berichten wollen. Doch in Berlin traf er auf ein Publikum, das in den letzten Wochen durch eine Kombination aus vereinzelten Abschiebungen und markigen Worten deutscher Innenminister und -senatoren in Panik geraten ist. Helfen konnte der deutsche Diplomat wenig, nur betonen, was das OHR seit Wochen jeder westlichen Regierung empfiehlt, die es hören will – oder auch nicht: Es wird ohne Rückkehr der Flüchtlinge keinen stabilen Frieden in Bosnien geben, doch sie muß „behutsam und mit Würde geschehen“, erklärte Steiner. Die Kapazitäten der bosnisch-kroatischen Föderation – daran ließ Steiner keinen Zweifel – reichen derzeit nicht aus, um Rückkehrer aus Städten und Dörfern der heutigen Republik Srpska aufzunehmen. Sie machen 60 Prozent der bosnischen Flüchtlinge in Deutschland aus. Die Bedingungen, so Steiner, „sind hierfür nicht reif“. Prompt gingen Hände hoch: Vertriebene aus Bijelnina, die zur Ausreise aufgefordert waren. In Bijelnina hatten gleich zu Beginn des Krieges serbische Verbände unter dem Milizenführer Arkan Massaker angerichtet.

Ebensowenig sind die Bedingungen für eine Rückkehr der bosnischen Roma gegeben, die zwischen alle Stühle geraten oder, so Steiner, „durch den nationalen Rost gefallen sind“. Im Abkommen von Dayton bleiben sie unerwähnt – ebenso in den Statistiken der Hilfsorganisationen. Mehrheitsgebiete, in die sie zurückkehren könnten, gibt es nicht. Aus der jahrhundertelangen Erfahrung, immer die ersten Zielscheiben nationaler und ethnischer Spannungen zu sein, bat einer ihrer Sprecher in der Kirche um Geduld und Verständnis bei den deutschen Behörden. „Wir wollen zurück in unsere Heimat, notfalls auch zu Fuß. Aber nicht bevor die Integration der Bosniaken, Serben und Kroaten vonstatten gegangen ist.“ Die Innenminister der Länder dürften für diesen Appell nicht viel übrig haben – und Michael Steiner mußte immer wieder klarstellen, daß seine Behörde eben nur Empfehlungen geben kann.

Bei den Flüchtlingen Vertrauen in den Friedensprozeß aufzubauen, zählt er zu den wichtigsten Aufgaben. Wie schwierig dies für das OHR mit 250 Mitarbeitern und ohne exekutive Befugnisse ist, konnte der Stellvertreter des Schweden Carl Bildt eindringlich darlegen. Der Nationalismus der politisch dominierenden Parteien, die Unentschlossenheit der internationalen Gemeinschaft sowie ständiges Krisenmanagement wie zuletzt in Mostar sind nicht gerade vertrauensbildend. Grundlegende Fragen wie nach dem Umgang mit der „schwarzen Spinne“ Radovan Karadžić, so Steiner, müsse man in Washington, Bonn, Paris oder London bald entscheiden. Wenn man es denn mit der Umsetzung des Dayton-Abkommens ernst meine. Andrea Böhm

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen