: Die autonome Jungfrauenzelle
■ Patriarchalische Bilder in der Zellbiologie: Kriegs-Phantasien männlicher Forscher
Die autonome Jungfrauenzelle
Patriarchale Bilder in der Zellbiologie: Kriegs-Phantasien männlicher Forscher
Die Zelle ist weiblich. Grammatikalisch jedenfalls gibt es daran keinen Zweifel. Biologisch betrachtet ist der Sachverhalt nicht so einfach.
Die Funktionsmodelle in der Zellbiologie sind männlich geprägt: Wie sehr sich männliches Denken in der Immunbiologie ausgebreitet hat, legte Dr. Dagmar Heymann vom Institut für Molekularbiologie und Biochemie der FU Berlin bei ihrem Vortrag an der Uni Bremen im Rahmen der Reihe "Feministische Naturwissenschaftsanalyse" — dar.
Da spricht man vom Ur-Gen als "Stammvater" für die Immunglobuline (...), "Tochterzellen" entstehen bei der Zellteilung, sogar "virgin cells" (Jungfrauenzellen), sogenannte unreife, ruhende B-Zellen, sind bekannt. Ganze Zell-Familien und Populationen haben die Forscher ausgemacht, und in den Beziehungen der Zellen untereinander geht es nicht gerade friedlich zu, im Gegenteil.
In der Zell- und Immunbiologie herrschen Zustände wie im richtigen Leben. Die Beschreibung von Zellfunktionen rufen Kriegszenen ins Gedächtnis. Da werden Erreger „abgewehrt", „Invasionen und Attacken durch Antigene provoziert", „Angriffsziele für zerstörende Abwehrziele radioaktiv markiert" und dergleichen mehr.
Der männliche Forscher, idealtypischer Vertreter der Zunft, die an der Entwicklung solcher Denkbilder gewirkt hat, zeichnet verantwortlich für solche Metaphern. Diese Entwürfe, die fast zwanghaft Herrschaft — oder wenigstens das Ringen um den Sieg, gute Zellen gegen böse — beinhalten, entlarven seine Subjektivität. „Der Schluß, daß es sich bei männlichen Denkmodellen zumal in einer patriarchalen Gesellschaft um entsprechende Bilder handelt, liegt nahe“, findet die Immunbiologin.
Nehmen wir die Darstellung von der von der "virgin"-, der "Jungfrauenzelle" in der Literatur. Ihre Aufgabe, die Massenproduktion eines spezifischen Antikörpers, kann sie erst erfüllen, wenn sich ein Antigen an sie bindet; ihr "Dornröschenschlaf" ist dann beendet. Doch ganz ungefährlich ist die Jungfrauenzelle nicht. überaktive Vorstufen dieser Zelle sind im Knochenmark angesiedelt und verursachen Krankheiten. In diesem Falle verhalten sie sich "autonom", ähnlich einer Krebszelle. „Die Übersetzung einer solchen Metapher lautet: die autonome Jungfrau ist Krankheitserregerin, abnormal", so Dagmar Heymann. „Dieses Bild existiert nur in patriarchalen Gesellschaften."
Matriarchale Gegenbeispiele kann sie zwar nicht nennen, soweit ist die feministische Forschung noch nicht gediehen. Doch die Richtung ist klar. Es geht nicht darum, neue Worte für altbekannte Sachverhalte zu finden. Umdenken ist angesagt. Das Zeitalter der "Zellenkriege" und "Jungfrauen-Dämonen" ist ausgeläutet. Wie mangelhaft die alten Vorstellungen sind, liegt ohnehin auf der Hand: Keine Zelle zerstört eine andere auf Nimmerwiedersehen. Energie bleibt erhalten, in anderer Form. Die Interaktion der Zellen muß anders gedacht werden. Aber wer kann sich schon vorstellen, die Zellen würden ein ein Menuett tanzen, statt sich zu duellieren?
Höchste Zeit für die feministische Forschung, sich einen Platz im Labor zu sichern! Kritik wird laut: Immer noch gibt es die unbesetzte Professur im Fachbereich Biologie, um die die Studentinnen schon seit längerer Zeit kämpfen. Zwar wird das vorgesehene Arbeitsfeld, die feministische Naturwissenschaftskritik und -analyse, durch Gastvorträge kurzfristig bedacht. Die Fragen feministischer Forschung in der Biologie lassen sich damit jedoch schon heute schon nicht mehr beantworten.
Eva Rhode
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