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Die allgemeine BedrohungslageMeine kritische Infrastruktur

Nun also doch noch Corona – die Infektion fühlte sich zunächst an wie ein Luftangriff. Und dann doch eher wie Kernschmelze im AKW Isar 2.

Ich hatte plötzlich das Gefühl, ich sei die Ukraine, die unter Beschuss liegt Foto: Daniel Carde/imago

I ch hab Corona. Ja, ich weiß, hatten andere auch schon. Dass dieses Virus ein Angriff auf die ganz persönliche kritische Infrastruktur ist, hatten wir das auch schon? Bei mir war es jedenfalls so: Nach anklingenden Symptomen und einem positiven Schnelltest kam es zur anschwellenden Panik, was das Virus alles mit mir anstellen würde.

Während mein Körper unter dem Dauerbeschuss durch Sars-CoV-2 immer schwächer wurde, seine Dienstleistungen minütlich einschränkte und das Fieberdelirium einsetzte, sah ich die komplett in Rot getauchte Landkarte der Ukraine vor mir. Sie war rot, weil im ganzen Land Luftalarm herrschte, zum ersten Mal seit Beginn des Krieges. Ich hatte plötzlich das Gefühl, ich sei diese Landkarte, ich sei die Ukraine, die unter Beschuss liegt.

Ja sicher weiß ich, dass der Killer im Kreml die Ukraine zu einer „404“ machen will, zu einem nicht vorhandenen Eintrag auf der Weltkarte. Und ja sicher weiß ich, dass ich mehrfach kostenlose Defensivwaffen geliefert bekommen habe, gegen die Covid-19 keine Chance hat. Und ja, sicher weiß ich, dass es total peinlich, unangemessen und zynisch ist, die eigene kritische Infrastruktur mit der eines angegriffenen Landes zu vergleichen, das tausende Tote, Gefolterte, Verschleppte, Ausgebombte, Vertriebene und Traumatisierte beklagen muss. Trotzdem. Ich hatte nun mal das Bedürfnis, in einem Bunker Schutz zu suchen. Meine kritische Infrastruktur hatte einen kritischen Zustand erreicht.

Am nächsten Tag ging es mir anders als der Ukraine schon etwas besser. Dennoch ging es mir wie Norddeutschland letzten Samstagvormittag: komplettes Kommunikationsversagen. Als wären auch bei mir so wie bei der Bahn zwei dicke Drähte durchtrennt worden, die alles lahmlegten. So schnell wie die Bahn den Defekt behoben hat, ging es bei mir allerdings nicht mit der Besserung. Anfunk- und Antwortfunktion blieben den ganzen Tag ausgeschaltet. Die einzige Empfangsmöglichkeit waren niedrigschwellige Angebote: „Die Kaiserin“ (alle 6 Folgen), 2,5 Dokus darüber, wer Sisi wirklich war, eine über das Schicksal ihrer Kinder und eine über ihren Mörder.

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Glücklicherweise ließ sich das Delirium durch die leichte Kost besänftigen und ging freiwillig ins Abklingbecken. Kaum hatte meine kritische Infrastruktur „Abkling­becken“ gehört, sendete es einen erneuten Fieberschwall und gab zu verstehen, ich sei das dringend reparaturbedürftige Atomkraftwerk Isar 2. Die „Leckagen“ müssten dringend gestoppt werden. Alarmsirenen brüllten, der Druck auf die Ventile wurde immer größer. Glücklicherweise kam jemand vorbei, der mir mitteilte, dass der Weiterbetrieb gewährleistet sei, weil das Problem behoben wurde und es keiner weiteren Revision bedürfe.

Sich einzubilden, unter Beobachtung, Beschuss und Belagerung zu stehen oder seine Umgebung zu verstrahlen wie ein Störfall mit Kernschmelze, ist krass anstrengend. Apokalyptiker zu sein ist harte Arbeit. Ich bin froh, dass meine kritische Infrastruktur sich wieder halbwegs sortiert hat und kritisch nachfragt, wenn sich irgendeine hitzige Idee bei mir einnisten will. Sie hat diesen kleinen Reset aber offenbar gebraucht. Denn bevor ich Corona hatte, glaubte ich, Masketragen sei überflüssig geworden. Ich hab zwar immer noch keine Lust darauf. Aber noch weniger Lust hab ich darauf, noch mal ernsthaft zu glauben, ich sei der Brennstab von Neckarwestheim.

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Doris Akrap
Redakteurin
Ressortleiterin | taz zwei + medien Seit 2008 Redakteurin, Autorin und Kolumnistin der taz. Publizistin, Jurorin, Moderatorin, Boardmitglied im Pen Berlin.
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