: Die Zuhör-Beauftragte
Die Bremer Beschwerdestelle für Bürger*innen und die Polizei selbst legt ihren ersten Tätigkeitsbericht vor. Die Kontrolle der Polizei beschränkt sich dabei oft auf Empfehlungen
Von Lotta Drügemöller
Die rot-grün-rote Bremer Landesregierung hat sich 2020 für die Einführung einer „unabhängigen Polizeibeauftragten“ entschieden – seit März 2022 ist die Stelle besetzt. Nun haben Sermin Riedel und ihre Stellvertreterin Lena Himmelmann der Bürgerschaft zum ersten Mal einen Tätigkeitsbericht vorgelegt.
Der Ruf nach unabhängigen Polizeibeauftragten war von zahlreichen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen gekommen: von Amnesty International, von Kriminolog*innen und Anwält*innen. Human Rights Watch und das UN-Menschenrechtskomitee hatten Deutschland für das Fehlen einer solchen Beschwerdeinstanz gerügt. Die Blackbox Polizei sollte so der demokratischen Kontrolle geöffnet werden.
Die Realität sieht angesichts der hohen Erwartungen einigermaßen banal aus. Die Polizeibeauftragte hat zwar im Ländervergleich weitreichende Kompetenzen: Sie kann Akten einsehen, Polizeieinsätze begleiten und muss Zutritt zu Dienststellen bekommen – Sanktionsmöglichkeiten aber hat sie nicht.
In den gut zweieinhalb Jahren haben sich 143 Menschen an die Beauftragte gewandt. 104 Beschwerden kamen aus der Bevölkerung, 39 Eingaben gab es aus der Polizei selbst – zum Beispiel zu Themen wie Arbeitsschutz oder zu Führungsstrukturen.
Oftmals, sagt Riedel bei der Vorstellung ihres Berichts, zeugten Beschwerden einfach von Missverständnissen über die Aufgaben der Polizei. So seien 69 Prozent der abgeschlossenen Beschwerdefälle durch reine Beratungsgespräche zu beenden gewesen. Auch Gespräche zwischen Bürger*innen und Polizeibeamt*innen zur Klärung von Konflikten wurden vermittelt.
Exemplarisch beschreiben die beiden Polizistinnen ihre Arbeit an einem Fall aus der Praxis: die Beschwerde eines Mannes, der Opfer eines Verkehrsunfalls wurde. Bei der Unfallaufnahme wurde der Schwarze von der Polizei gefragt, ob man sich nicht vom Bahnhof kenne. „Wenn die Polizei das fragt, legt das nahe, dass es beim ‚Kennen‘ um einen kriminellen Kontext geht“, sagt Riedel. „Die Person hat sich dadurch immens verletzt gefühlt.“
Der Fall zeigt deutlich die beschränkten Möglichkeiten. Die Aufklärung des Falles bestand demnach im Anfordern einer schriftlichen Stellungnahme. Der Polizeibeamte, der die Frage gestellt hatte, erklärte darin, dass „eine Kriminalisierung überhaupt nicht intendiert war“ – Ende der Beweisaufnahme.
Da es zuvor ähnliche Fälle gegeben hatte, sprach die Polizeibeauftragte am Ende eine Empfehlung aus: Mehr Reflexionsräume für Polizist*innen, um eigenes Verhalten diskriminierungssensibel zu hinterfragen.
Viele Empfehlungen der Beauftragten aus dem Tätigkeitsbericht haben eine ähnliche Qualität: Es brauche verpflichtende Fortbildungen zum Umgang mit psychisch beeinträchtigten Personen, und die allgemeine Kommunikation solle durch regelmäßige Schulungen verbessert werden.
Beschwerden von Polizeistudierenden über autoritäre Führungsstile, Gruppensanktionen und Abwertungen führen zu der Empfehlung, „umfassende Befragungen und Qualitätsüberprüfungen durch- sowie ein Diversity-Management einzuführen“ – mutmaßlich sinnvolle Hinweise und Empfehlungen, die allerdings nicht völlig neu sind und in ähnlicher Form wiederholt von Wissenschaftler*innen geäußert wurden.
Bei Soliport, einer Beratungsstelle für Opfer rassistischer Gewalt, die sich gelegentlich auch mit Polizeigewalt auseinandersetzt, arbeitet man grundsätzlich gut mit der Polizeibeauftragten zusammen und ist von der Sinnhaftigkeit der Stelle überzeugt. Eine Sprecherin betont aber auch: „Menschen, die von Polizeigewalt betroffen sind, bringen konkrete Wünsche und Forderungen mit. Den Möglichkeiten von Frau Riedel, zum Beispiel bei juristischen Konsequenzen für Polizeibeamt*innen, sind da aber leider Grenzen gesetzt.“
Sanktionen für Polizeibeamt*innen kann die Polizeibeauftragte nicht verhängen; allenfalls kann sie Fälle zur weiteren Ermittlung – disziplinarisch oder auch strafrechtlich – weiterleiten. Allerdings liegen diese Ermittlungen dann wiederum in den Händen der Polizei selbst oder der Innenbehörde.
Riedel wiederum sieht es auch als Stärke ihrer Stelle, dass nicht in erster Linie nach individueller Schuld gesucht wird. „Es geht uns mehr um die Möglichkeit, strukturelle Probleme zu sehen und anzusprechen“, sagt die Polizeibeauftragte.
Selbstkritisch benennt die Polizeibeauftragte, dass sie tendenziell eher die privilegierte Mehrheitsgesellschaft“ erreiche. Um besser und bekannter zu werden und um tiefer in die Fälle einsteigen zu können, fordert die Polizeibeauftragte eine „erhebliche Ausweitung der Ressourcen“ – aktuell sind Riedel und ihre Stellvertreterin Himmelmann zu zweit zuständig für alle Gespräche, Ermittlungen und weiteren Aufgaben. Viel Hoffnung auf viel mehr Ressourcen scheint sie aber nicht zu haben: „Wir sind immer noch in Bremen“, sagt sie lakonisch.
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